Chronisch krank nach Urlaub mit Hüttenzauber

Rund 700 Deutsche leiden unter Folgen von Holzschutzmitteln. Ihre Kritik: Nach wie vor gelten bei der Innenraumausstattung zu geringe Grenzwerte

BERLIN taz ■ G. A., 34, aus Ansbach verkörpert eine von rund 700 Leidensgeschichten der bundesweit organisierten Interessengemeinschaft der Holzschutzmittel-Geschädigten (IHG). „Mit 17 hatte ich den ersten Immunsystem-Zusammenbruch“, erzählt er. Eine „komisch riechende“ Holzhütte im Urlaub gab den Ausschlag. Seither ist A. chronisch krank, virale Infektionen plagen ihn. Heute ist er überzeugt: Der Holzschutzmittel-Wirkstoff PCP (Pentachlorphenol) ist schuld.

Den Studiengang wählte A. seinem Leiden: Umwelttechnik. Doch sogar mit der Uni musste er über einen Anwalt verhandeln, bis seine Krankheit anerkannt und ihm eine verlängerte Studienzeit eingeräumt wurde. Dabei hat A. noch Glück, denn sein Arzt stellte früh die richtige Diagnose.

PCP ist im Blut nachweisbar und seit 1989 in Deutschland verboten – aber, so IHG-Vorstandsmitglied Michael Krämer: „Wir leiden noch unter den Altlasten.“ Krämers größtes Problem: „Die meisten Ärzte blenden Wohn- und Umweltgifte als Ursache einer Erkrankung einfach aus.“ Auch das seit einem Jahr greifende Biozidgesetz hilft nur teilweise. Neue Holzschutzmittel müssen seither zwar ein Zulassungsverfahren durchlaufen. Für Lösemittel und andere Zusätze bei der Innenraumausstattung gibt es aber nach wie vor weder Richt- noch Grenzwerte. Und: Das Geld für Studien wird immer knapper.

Auch Umweltambulanzen und Sprechstunden darben, vermelden Publikumsschwund und Resignation. „Wir können ja nicht viel tun“, lamentiert eine Sachbearbeiterin vom Umweltamt Berlin-Mitte. Sie hat nur ein paar Vergleichswerte aus den 80er-Jahren zur Verfügung, ihr Kenntnisstand bezüglich neueren Schadstoffen tendiert gegen Null. Die Beamtin erzählt von einer Mieterin, die umgesetzt werden sollte, weil die schadstoffhaltige Luft in ihrer Wohnung aus der darunter liegenden Lackiererei stammte. Doch die Frau erkrankte an Krebs und starb.

Fahrlässigkeit von Amts wegen? Auch A. machte die Erfahrung: Behörden und Industrie – „das ist ein Filz“, meint der Geschädigte. IHG-Vorstand Krämer fordert daher ein novelliertes Produkthaftungsgesetz: „Die jetzigen Gesetze schützen die Industrie, nicht die Verbraucher.“ Und der Umweltmediziner Horst Wald vom Berliner Zentrum für Arbeits- und Umweltmedizin warnt davor, mutmaßlich Geschädigte als Spinner abzutun: „Diese Leute müssen ernst genommen werden.“

Frust bereitet indes die Kostenfrage: Krankenkassen sträuben sich, Schadstofftests zu bezahlen. Krämer vermutet deshalb: „Viele Patienten, an denen jahrelang herumgedoktert wird, wurden nie richtig untersucht.“

GISELA SONNENBURG