Nur nicht zu groß werden

Erst ging es um billige Ateliers, dann wurde es zum Geheimtipp der Hamburger Szene: Das Westwerk übt den Spagat zwischen Wunsch und Wirklichkeit

von Maren Albertsen

„Ich glaub, hier bin ich richtig“, sprach die Frau in ihr Handy. „Eigentlich müsste es das sein.“ Ganz sicher war sie aber nicht, denn weder Schild noch Plakat wiesen auf das Westwerk hin, in dem sie erstmals ein Konzert besuchen wollte. „Und als ich das zufällig hörte“, erzählt Matthew Partridge lachend, „ist mir erst aufgefallen, dass es für jemanden, der das Gebäude nicht kennt, vielleicht wirklich etwas schwierig zu finden ist.“

Er selbst lebt und arbeitet dort seit 19 Jahren und ist eins der Gründungsmitglieder des Hamburger Westwerk e. V., das in seinen Räumen Ausstellungen und Konzerte veranstaltet. Das Spektrum reicht von Berliner Gitarrenbands bis zu versponnenen Jazzpianisten aus New York, in den Ausstellungsräumen präsentieren junge Künstler multimediale Installationen, Kugelschreiberzeichnungen und subkulturelle Fotocollagen.

Als der Westwerk e. V. 1985 gegründet wurde, um das Gebäude anzumieten, war der ehemalige Speicherkontor noch zu einem Spottpreis zu haben. Die Stadt Hamburg wollte die alten Häuser in der Gegend abreißen, doch das Westwerk in der Admiralitätstraße blieb, und die neuen Mieter konnten ihre Ateliers großzügig gestalten. „Darum ging es anfangs auch ausschließlich“, sagt Partridge.

Erst später begann man Ideen für die Zukunft zu entwickeln. Ein Grundkonzept, das in einem Satz erläutert, welche Ziele der Verein hat, gibt es dennoch nicht – und soll es auch nicht geben. Partridge: „Uns machen eben alle unsere Tätigkeiten aus.“

Momentan sind es 16 aktive Mitglieder, die im Westwerk wohnen oder dort zumindest ein Atelier haben und Veranstaltungen organisieren. „Dass wir ganz unterschiedliche Projekte machen, liegt schon daran, dass wir alle hier so verschieden sind“, berichtet Sabine Flunker, die Vorsitzende des Vereins.

Zwar haben sie keine Steuerberater oder Versicherungskaufleute im Westwerk, aber ansonsten ist die Bandbreite groß. Sie reicht vom 30-jährigen Maler über den 40-jährigen Fotografen und Architekten bis zum 50-jährigen Handwerker. Matthew Partridge zum Beispiel ist Grafiker, Musiker und generell Multitalent. „Na ja“, räumt er bescheiden ein, „Bauchtanz kann ich aber nicht.“

Konsens herrscht darüber, dass das Westwerk Club und Atelier gleichzeitig sein soll und denjenigen einen Ausstellungsraum zur Verfügung stellen will, die an „normalen Orten“ keinen Platz bekommen: „Wir sind damit vielleicht nicht gerade exzentrisch, aber machen doch eher ungewöhnliche Sachen“, meint Partridge. Dabei versuchen sie nicht, krampfhaft so viele Leute wie möglich anzusprechen. Bands müssen sich deshalb damit abfinden, dass zu ihren Konzerten mitunter nur zwischen 20 und 70 Leuten kommen.

Dafür erwartet sie aber auch eine besondere Atmosphäre, die stark durch die Geschichte des Gebäudes geprägt ist. Eigentlich besteht es nämlich aus zwei Häusern, wobei der eine Teil im 18. Jahrhundert errichtet wurde. 200 Jahre später wurden einige Stockwerke obendrauf gesetzt und ein weiteres Haus angebaut. Diese eigenwillige Aufteilung verleiht dem Westwerk seinen speziellen Charme.

Der wiederum der Arbeit zugute kommt. Die Interessenten stehen Schlange, und so können sich die Westwerker aussuchen, wen sie in ihr Haus – und damit in ihr Leben – lassen und wen nicht. Klingt nach Luxus, doch ohne amtliche Unterstützung könnte das Westwerk so nicht weitermachen. Auch wenn die Mitglieder umsonst arbeiten, bleiben immer noch die Materialkosten, die bei jedem Event anfallen. In Zeiten schwindender Zuschüsse muss dann schon überlegt werden, wie wieder Geld in die Kasse kommt: „Wir können ja nicht 15 Mal im Jahr zu Benefizkonzerten mit dem Titel ‚Rettet das Westwerk‘ aufrufen“, überlegt Partridge.

Bei den Veranstaltungen mehr ans Geldverdienen zu denken und damit kommerzieller zu werden, stellt für ihn allerdings keine Alternative da. „Natürlich wollen wir die Leute ansprechen und freuen uns über neue Gesichter. Aber es ist nicht unser Interesse, Bekanntes zu präsentieren. Sonst wird es hier zu groß.“

Einen Auftritt, bei dem noch offen ist, ob er klein oder groß wird, hat er selbst morgen und übermorgen im Westwerk. Bei der Band Heffels#5, die mit ungewöhnlichem Rock und Improvisationen aufwartet, wird er am Schlagzeug sitzen. Wer sich für diesen Anlass das erste Mal in Richtung Westwerk aufmacht, sollte übrigens genau hinschauen, denn: Hinweisschilder gibt es auch weiterhin nicht.

Heffels#5, 23.+24.4., jeweils 21 Uhr, Westwerk, Admiralitätstr. 74