Zwischen den Häuserzeilen

Die Arbeitnehmerkammer untersucht in der Reihe „Du-Die Stadt“, was in Bremen jenseits der Hot Spots passiert. Heute liest Kolja Mensing aus seinem Buch „Wie komme ich hier raus?“

Das Motto der Reihe „Du-Die Stadt“: „Bremen anders erleben“

Wer nachts aus der Kneipe stolpert, muss keinen Vollrausch haben, um die Orgel im Dom zu hören. Der Kantor übt nämlich am liebsten dann, wenn ihm niemand mehr zuhört. Deshalb hat ihn das Filmteam von Radio Bremen aufgesucht, ebenso wie den Wachmann im Spacepark. Der sagt, dass er sich als Kind vor der Dunkelheit gefürchtet hat – heute freut er sich, wenn er im Dunklen unter der großen Kuppel in die Hände klatscht und außer dem Echo nichts zu hören ist. Aufgetreten ist er in der buten un binnen-Serie „Nachtaktiv“, die ein harmonisches Bild der Hansestadt zeichnet: Keine Schichtarbeit, Neugeborene statt Notaufnahme.

Eine Auswahl der Radio Bremen-Kurzdokus war im Kino 46 zu sehen, als Teil der Veranstaltungsreihe „Du-Die Stadt“. Diese hat die Arbeitnehmerkammer Bremen ins Leben gerufen mit dem Ziel, neue Perspektiven auf das Leben an der Weser zu zeigen: Die Initiatoren Peter Schenk und Thomas Frey schickten KünstlerInnen aller Sparten los, unbekannte Seiten der Stadt zu entdecken oder altbekanntes unter neuem Blickwinkel zu betrachten. Eine Bestandaufnahme mit dem Motto „Bremen anders erleben“: Das Programm ist zunächst auf ein Jahr angelegt. Bei Erfolg besteht die Aussicht auf Verlängerung: 2005 könnte es weitergehen mit künstlerischen Gegenentwürfen zum Bestehenden, mit Utopien für das Leben in einem Bremen der Zukunft.

Nächster Termin der Reihe ist eine Lesung am heutigen Donnerstag im Foyer der Arbeitnehmerkammer: Kolya Mensing liest aus seinem Debüt „Wie komme ich hier raus? Aufwachsen in der Provinz“. In den Essays und Geschichten setzt sich der Autor, Journalist und Ex-taz-Kulturredakteur, mit seiner Jugend in der niedersächsischen 18.000-Seelen Gemeinde Westerstede auseinander. Für die Frankfurter Rundschau sind Mensings Erinnerungen „das Klügste, was seit langer Zeit über die Provinz geschrieben worden ist.“

Der sozialkritische Gegenpol zum entspannenden Lokalkolorit des „Nachtaktiv“-Filmabends dürfte spätestens ab August gesetzt werden. Im Rahmen von „Du-Die Stadt“ werden sich Florian Thalhofer und Kolja Mensing in der Grohner Düne einquartieren und ihre Eindrücke künstlerisch verarbeiten. Der Videokünstler Thalhofer hat sich bislang vornehmlich mit interaktiven Dokumentationen beschäftigt. Kolja Mensing lebt seit einigen Jahren in Berlin. Inspiration Problemsiedlung: „Das Ding sieht nicht gemütlich aus, aber es gibt Subtexte“, so Initiator Frey.

Die Subtexte, die durch Walles Kneipen wabern, hat Frauke Wilhelm gesammelt. Erzählungen, Fotografien, Videoaufnahmen und Geräuschen hat sie zu Bildcollagen zusammengesetzt. Am 7. Mai gibt es um 21 Uhr in der Kneipe Hart Backbord die musikalische Bildcollage „Walle Blues“, bereits jetzt sind in mehreren Kneipen vor Ort Stadtteilgeschichten in Ton und Bild zu sehen.

Außerdem sind derzeit im Foyer der Arbeitnehmerkammer Fotos und Videos von Susanne Brügger ausgestellt. Ihre Sicht auf die Stadt ist die von Kameras, die von oben auf öffentliche Plätze gerichtet sind. „Das Babylonische Prinzip“ nennt sie ihre Beobachtungen. Noch hängen hier nur ein paar Werke Brüggers, eine große Ausstellung im KITO soll folgen. Axel Lerner

Die Lesung findet am Donnerstag, den 22. April, ab 20.00 Uhr im Foyer der Arbeitnehmerkammer, Bürgerstr. 1 statt. Weitere Infos zu der Veranstaltungsreihe gibt es unter www.du-die-stadt.de und telefonisch unter ☎ 0421 - 36 30 19 83 bzw. 36 30 19 73.