Die Würde der Indies

„Alles falsch“ und „Wovon lebt eigentlich Peter“: Zwei Berliner Indie-Hits erzählen zurzeit eine Geschichte vom Älterwerden, von „Wer bin ich“ hin zu „Wie lebe ich?“

Dieser Tage lohnt es sich, den RBB-Jugendsender Radio Fritz einzuschalten. Denn da laufen zwei richtige Indie-Hits. Hintereinander montiert erzählen sie eine Geschichte vom Sich-Einfinden und Älterwerden in Sub- und Mikrokulturen. Der erste kommt von der Band Killerkouche, heißt „Alles falsch“ und beschreibt das Heranwachsen als „Indie“. „Wovon lebt eigentlich Peter?“ von Winson spinnt die Idee fort und beschreibt den Idealtypus des gereiften „Indie“.

Doch der Reihe, also den Lebensjahren nach: Killerkouche erfinden endlich den „Indie“ als Typen. Ihr Song „Alles falsch“ stellt zu Beginn die Frage: „Hallo lieber Indie: Was machst du in meiner Stadt?“. Mit dieser Feindseligkeit schließen sich Killerkouche selbst aus einem imaginierten Mainstream aus. Sie sind eines jener Trios, die nur Vornamen wie Robert, Henning und Uli tragen und sich in Köpenicker Übungsräumen treffen. Der Selbst-Ausschluss hat eine schöne Folge: Hinterher kann man sich selbst eindeutig als „Indie“ bezeichnen. Wer die Jugend selbst mit auf Kniehöhe baumelnden Gitarren und in Anoraks erlebte, weiß, wie befreiend diese Identifikation wirken kann.

Denn bisher ist noch niemand auf die Idee gekommen, das Wort als Personenbeschreibung zu benutzen. In diesem wahnsinnig tollen Song kommt es aber noch besser: Schließlich sind Killerkouche nicht bloß Texter, sie sind eine Band. Und „Alles falsch“ ist ein Ohrwurm wie seit langem keiner. Beim ersten Hören sperrt man sich noch gegen das allzu unbekümmerte Synthie-Quäken, die so ganz un-indie tänzelnden Discobeats. Der Refrain aber, der bleibt. „Die Lieder die wir singen und unsere Melodien sind falsch!“, jubeln Killerkouche da, und selten hat eine Band ein jugendliches Zusammengehörigkeitsgefühl derart nachhörbar gemacht.

Irgendwann aber wird der Indie älter, erhält keine Zahlungen von den Eltern mehr. „Wie lebe ich eigentlich?“, lautet nun die Leitfrage. Sie ersetzt das große „Wer bin ich?“. Darüber singt der Kreuzberger Winson. „Ey kiek ma, ey kiek ma, da vorne steht a der Peta! Ick fra ma nur wovon lebt a?“, schranzt eine übersteuerte Stimme über den Äther. Winson spielt einen immer aktuellen Indie-Trash-Rock. In weichem Ostberlinerisch, vom aus Frankfurt/Main hergezogenen Winson wie auch immer angeeignet, fragt diese Stimme die ganze Zeit, wovon eben Peter lebt. Es kratzt am Selbstverständnis des Indies: Der Alltag soll um die wichtigen, die schönen Dinge kreisen. Gerade das führt dazu, dass sich alles ums Geld dreht. Hier wird eine zweite Adoleszenz beschrieben, wie sie sich erst seit den 70er-Jahren allmählich ausgeprägt hat und von deren Existenz das von Douglas Coupland diagnostizierte Phänomen des „Mid-Twenties-Breakdown“, also der Nervenzusammenbruch im Alter von Mitte 20 kündet.

In Berlin mit seinen immer noch relativ niedrigen Mieten und den noch vorhandenen Räumen für mikroskopisch kleine Gemeinschaften ist das „Wie lebe ich eigentlich?“ mit Mitte 20 gar nicht so das Problem. Der Clou an Winsons Song ist: Die Frage wird nie beantwortet. Auch der ältere Indie darf seine Würde behalten. CHRISTOPH BRAUN

Winson: Wovon lebt eigentlich Peter („So sah die Zukunft aus“, V2 Records/ RTD); Killerkouche: Alles falsch („Ein Tag in Berlin“, VÖ am 26.4. auf Weserlabel/ Indigo)