Zum Fall Weltekel

Abscheu, Widerwille, Hass, Antipathie – das wird die Lücke, die er hinterlässt, kaum schließen können

„Weltekel zurückgetreten.“ So knapp, so schmucklos vermeldeten die Agenturen den bestürzenden Vorgang. Selten hat in der letzten Zeit eine Nachricht die Öffentlichkeit so elektrisiert wie diese. Eine Welt ohne Weltekel, ja auch nur mit vorübergehend ruhendem Weltekel scheint unvorstellbar. Wohin mit all den nur allzu berechtigten Emotionen? Abscheu, Widerwille, Hass, Antipathie, so wichtig und zutreffend sie in einzelnen Fällen sein mögen, werden die Lücke, die er hinterlässt, kaum schließen können. Hinzu tritt die Frage: Wem sollte ein Weltekel im Ruhestand nützen, mal abgesehen von TV-Pastoren, werdenden Müttern und der Mafia der Sportbootverleiher? Und vor allem: Was macht eigentlich der Weltekel, wenn er ruht? Schweift er ab? Verliert er an Form? Gibt er sich vollends die Kante?

Weltekel ade! Er blickt zurück auf Jahre des Dicketuns und der Fettlebe, angefüllt mit feistem Lachen. Ausgerechnet das Hotel Adlon und der Wiener Opernball sind ihm angekreidet worden, zwei seiner wichtigsten Wirkungsstätten, an denen er, der Weltekel, seit vielen Jahren verdienstvoll wirkte und mittlerweile zum Inventar gehörte. Rechnungen nicht bezahlt? Sehr komisch. Einer wie Weltekel bezahlt nie seine Rechnungen. Muss er auch nicht, denn er ist gewissermaßen die Rechnung.

Es gibt ihn, wie ja jeder weiß, sowieso umsonst. Schalte das Fernsehen ein, schlag die Zeitung auf, geh in die Frittenbude, spazier über den Friedhof, öffne den Briefkasten, tritt in die Taubenkotze, schau in den Spiegel, schau aus dem Fenster, schau in dein Portemonnaie, schau auf deinen Teller, schau über den Tellerrand, lauf Amok – der Weltekel ist überall, du kriegst ihn überall gratis. Nichts ist so billig – bzw. war so billig wie er. Nichts so stimmig. Nichts so berechtigt. Nichts so nötig. Eine weltekelfreie Welt ist keine bessere Welt, sondern eine fatalere. Eine falsche Welt. Eine Welt ohne Charakter, ohne Maß, ohne Halt.

Wie kläglich scheiterten jene Dichter, die vehement versuchten, den Weltekel auszublenden. Aber weder im Abendfrieden dahinplätschernde Waldquellen noch den Halbschatten der in der Nachmittagssonne liegenden Hinterhofidylle durchschreitender Damenbesuch, noch die aus gewisser Entfernung konsultierten Kreidefelsen an Meeresküsten konnten ihm ernsthaft Paroli bieten.

Jeder einigermaßen ausgewachsene Weltekel lachte sich nur schlapp über solche Versuche. Eine Liebeserklärung an oder Hymne auf den Weltekel kann man hingegen lange suchen. So gut wie nie wurde er gepriesen und besungen. Es spricht nicht gerade für die Menschheit, dass es offenbar keine einzige Dichtung, ja noch nicht mal ein kleines Lied gibt, das ihm als immer preiswerten und bis zuletzt treuen Begleiter des Homo sapiens Tribut zollt.

Sollte dies das letzte Tabu der Weltliteratur sein? RAYK WIELAND