Chronik einer Niederlage

von MATTHIAS URBACH

Heute messen sich Einzelhandel und Dosenhersteller ein letztes Mal mit dem Umweltminister. Auge in Auge auf dem „Dosengipfel“. Davon jedenfalls träumt der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE). Doch von einem „Dosengipfel“, wie es sich der Einzelhandel wünscht, kann kaum eine Rede sein. Vielmehr von einer Einbestellung durch Jürgen Trittin. Kräftemäßig reichen die Einzelhändler im Moment dem Grünen gerade mal bis zur Gürtellinie. Statt von einem Gipfel spricht man im Ministerium nachsichtig von einem „Gespräch“.

Trittin sitzt am längeren Hebel. Schließlich gilt das Pflichtpfand inklusive einer generellen Rücknahmepflicht in jedem Laden, der Einweg verkauft – egal wo der Kunde die Dose erstanden hat. Nur Trittins Duldung verdankt es der Einzelhandel, dass er noch mit Pfandgutscheinen herumhantieren darf und nicht schon längst mit Bußgeldern überzogen wird. Und es entscheidet noch einer mit, der heute gar nicht dabeisitzt: die Mehrweg-Lobby. Bereits vergangene Woche kündigte die Initiative „Pro Mehrweg“ an, Händler von Einwegware mit Klagen zu überziehen, sollten sie ihre Arbeit am einheitlichen Rücknahmesystem nicht fortsetzen.

So dilettantisch wie seine Pfandzettel mutet nun die Politik des Einzelhandelsverbands HDE ab. Vor einem Monat hatte man noch erklärt, dass die fristgemäße Einführung des Rücknahmesystems auf gutem Wege sei. Vor einer Woche erklärte der so genannte Lenkungsausschuss von Industrie und Handel dann aus heiterem Himmel, er werde seine Arbeit am Rücknahmesystem einstellen. Grund: eine „Rechtsunsicherheit“ aufgrund von Bedenken aus Brüssel – mit Hinweis auf einen Brief an Trittin. Der machte den Brief öffentlich und entlarvte die Wirtschaft als Lügner, denn die EU-Kommissare kritisierten allein die Übergangsregel mit den Pfandgutscheinen, nicht das Zwangspfand an sich.

Seitdem wechselt der Einzelhandel fast täglich seine Forderungen an den „Dosengipfel“. Der Forderung nach mehr Rechtssicherheit folgte die nach niedrigerem Pfand: Bei sechs statt fünfundzwanzig Cent, so wie in Schweden, erklärte HDE-Sprecher Hubertus Pellengahr am Freitag, sei „die Sache in Deutschland genauso praktikabel“. Gestern nun forderte Pellengahr, eine Abgabe als Alternative zum Pfand zu prüfen.

Damit ist der Einzelhandel wieder dort angelangt, wo die Debatte vor drei Jahren begonnen hatte. Im Juni 2000 hatte man sich schon fast auf eine Abgabe geeinigt. Damals war absehbar, dass die Mehrwegquote so sehr fallen würde, dass das noch zu Zeiten von CDU-Umweltminister Klaus Töpfer erfundene Zwangspfand bald fällig würde. Doch Trittin wollte den Weg zu einer einvernehmlichen und weniger bürokratischen Lösung öffnen. Auch der Einzelhandel befürwortete damals eine Abgabenlösung. Bis die beiden Großverbände, der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) sowie der Bundesverband der Industrie (BDI), sich zu Wort meldeten – und ihr Veto einlegten. Die Chefs in den großen Wirtschaftsverbänden wollten um jeden Preis weitere Regulierungen verhindern. Der Kampf gegen das Dosenpfand sollte zum Kampf gegen die Produkthaftung schlechthin werden.

Es folgten eine groß angelegte Kampagne und eine Klagewelle durch die Verwaltungsgerichte – bis hin zum Verfassungsgericht. Auch als die Zwangspfand-Verordnung bereits im Bundesgesetzblatt veröffentlicht war, taten die Gegner nichts, um ihrer Verpflichtung nachzukommen, ein Rücknahmesystem zu installieren. Sie hofften auf den Wahlsieg Edmund Stoibers.

Selbst nach Stoibers Niederlage glaubten sie bis zuletzt an ein Wunder vor Gericht – und taten nichts, um die Rücknahme der Einwegdosen zu organisieren. Im Dezember konnten sich Handel und Einwegindustrie noch einmal wie die Könige fühlen: Die Bundesregierung belohnte sie für ihre Borniertheit mit einer neunmonatigen Duldungsfrist für das Rücknahmesystem.

Doch dieser letzte Sieg verwandelt sich nun in eine Niederlage. Denn das Pfandbon-System vergraulte die Kundschaft. In nur drei Monaten brach der Umsatz von Bierdosen um sechzig Prozent ein, der von Limonaden um die Hälfte. Deutschlands größter Dosenhersteller Schmalbach-Lubeca klagt über Umsatzeinbruch und Kurzarbeit. Diesmal hatte es der Einzelhandelsverband überzogen. Und das dicke Ende könnte erst noch kommen. Denn wenn die großen Discounter wirklich eigene Rücknahmesysteme entwickeln, könnten die Kosten des Rücknahmesystems den Rest des Handels vom Verkauf der Wegwerfware ausschließen.

Als die Bundesregierung noch einmal neun Monate Fristverlängerung gab, waren Mehrwegabfüller und -händler erzürnt. Sie wollten endlich ihre Investitionen durch das Zwangspfand geschützt sehen. Nur unter Murren ließen sie sich bewegen, die Duldung der Übergangsregelung durch die Bundesregierung ihrerseits zu dulden. Das hinderte sie nicht daran, die Handelskette Wal-Mart, die statt der Dosen bloß die Dosengutscheine zurücknehmen wollte, bereits wegen Wettbewerbsverzerrung abzumahnen. Für jeden weiteren gemeldeten Einzelfall drohen der Geschäftsführung nun eine Buße von 250.000 Euro oder ein halbes Jahr Haft. Weitere Mahnungen könnten folgen.