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: HELMUT HÖGE über Agronauten

Widerstand – Integrationsfluss – Widerstand

Die Ich-AG ist eigentlich nichts anderes als das Zerbrechen der eisernen Reisschüssel – das heißt eine Verschlankung des Sozialstaats, bei der dem Fußvolk nahe gelegt wird, gemäß der Parole von den Vier Modernisierungen „ins Meer einzutauchen“. Und das heißt, selbst Geschäfte zu machen.

Nun war in China jedoch die Bauernrevolution – im Bündnis mit dem Proletariat – siegreich, im Gegensatz zu Europa, wo sie seit 1525 zusammen mit den Bürgern immer niedergeschlagen wurde. Allein in Peking gibt es heute noch 450.000 Bauern – so viel wie in ganz Deutschland. Doch scheint der berühmte „Ruck“ auch bei ihnen zu greifen: Immer mehr Bauern überlegen sich eigene Verarbeitungs- und Vermarktungsmöglichkeiten für ihre Produkte und experimentieren mit neuen Feldfrüchten beziehungsweise Nutztieren.

Neulich nahmen wir an einer Besichtigung des Hofes von Bauer Winkler teil, der bei Oranienburg Strauße züchtet. Er hat dazu extra einen Lehrgang am Rhein besucht – beim Verband der Straußenzüchter Deutschlands. So viel haben wir nach seinem einstündigen Vortrag verstanden: Strauße zu züchten ist nicht einfach. Das fängt schon in der Brutmaschine an, wo den Eiern – umgekehrt wie bei Hühnern, Enten etc. – Feuchtigkeit entzogen wird, woraufhin sich eine Luftblase im Ei bilden muss, die das Embryo 24 Stunden mit Sauerstoff versorgt. In dieser knappen Zeit muss es den Restdottersack aufnehmen, sich abnabeln und so viel Kraft entwickeln, dass es die dicke Eischale zertreten kann. Ähnlich prekär gestalten sich auch die ersten 90 Tage der Kükenaufzucht. Auf die Frage, wie er die ausgewachsenen Tiere denn schlachte, antwortete Winkler: „Morgens gehe ich zu dem betreffenden Strauß auf die Weide und rede mit ihm darüber. Wenn er es dann eingesehen hat, fahr ich ihn zum Schlachthof.“

Auf dem Rückweg machten wir in Velten noch einen Abstecher zu Manuela: eine aufs Land gezogene Fremdsprachensekretärin. Sie besitzt sieben Hunde und durchstöbert laufend polnische Tierasyle nach weiteren. Sie wohnt mit den Tieren allein in einem Reihenhäuschen – innen wie außen ist es spießig sauber. Manuela arbeitet mit den Hunden und kann bereits davon leben: Sie bildet sie für Bühne und Film bzw. Fernsehen aus.

So musste ihr Mischlingsrüde Stepan zum Beispiel gerade für das ZDF mit einem Stück Holz, auf dem eine Krähe saß, über einen Fluss schwimmen. Diese erledigte das ebenso professionell wie der Hund, der gleich anschließend für Pro 7 in einer Verfolgungsszene einen sterbenden Jagdhund mimte – ebenfalls mit Bravour.

Man sieht: Auf dem Land, wo alles so ruhig und rechts zu sein scheint, wird hinter jeder Tüllgardine heftig um neue Erkenntnisse und Erwerbsmöglichkeiten gerungen. Von Gertrude Steins China-Diktum, „Alles wichtige passiert auf dem Land“, scheinen wir hier zwar noch entfernt zu sein, aber in Geert Mats Studie „über den Untergang des Dorfes in Europa“ deutete es sich in seinem Ort „Jorwerd“ bereits an: Alle machen Pläne und Projekte – haltlose, realistische, verrückte, harmlose und gefährliche. Vom Yachthafen über Agrofarmen zum Anfassen und Haustierrasseparks auf ABM-Basis bis zu Reiterferien ohne Reue, wo man gleichzeitig eine Partnertherapie machen kann.

Wenn man tief in der Prignitz in die Rosenwinkler Dorfkneipe „Meikel’s Taverne“ kommt, dann ist man völlig überwältigt von der geballten Ladung an Projektemachern, die hier allabendlich ihre Ideen an runden Tischen ventilieren. Zwei arbeitslose LPG-Mitarbeiter zum Beispiel haben es darüber zu eigenen Windkraftanlagen (WKA) geschafft. Und einer der beiden darüber hinaus auch noch zu einem Lehrgang bei einem japanischen Bioreisbauern. Wenn er abends bei Meikel sitzt, ruft ihn gelegentlich seine WKA über Handy an, um ihm mitzuteilen, welche Stärke der Wind draußen gerade hat, wie viel Strom sie demzufolge ins Netz einspeist – und was ihm das netto einbringt: in Euro.

Die Windmüller haben sich derart vermehrt, dass sich bereits der Widerstand dagegen organisiert. Das Ohm’sche Gesetz gilt eben auch für Landeier. „Eins teilt sich in zwei!“, so nannte Mao diese Dialektik.