Eine niedliche Miniatur

Bei den Spielen der europäischen Kleinstaaten, die auf der Mittelmeerinsel Malta zum zehnten Mal in sieben Sportarten ihre Champions ermittelten, geht es zu wie bei Olympia – nur viel winziger

aus Valletta ERIK EGGERS

Der Druck vor dem Finale war enorm gewesen für David Fiegen. „Alles andere als ein Sieg“, hatte eine Zeitung in seinem Heimatland Luxemburg in der Vorschau auf die Spiele auf Malta die Erwartungen beschrieben, „wäre eine einzige Enttäuschung.“ Ganz Luxemburg schaute auf den 800-Meter-Läufer, als er zum großen Wurf ansetzte; das Fernsehen war vor Ort und andere Journalisten, und vor Monaten schon hatte der Erzherzog für sich die Siegerehrung reklamiert, um teilzuhaben am Ruhm des jungen Mittelstrecklers. Dieses Gold, da gab es keinen Zweifel, war eine Bank für das Großherzogtum. Das musste der erst achtzehnjährige „Sportler des Jahres“ Luxemburgs erst einmal verkraften. Doch David Fiegen meisterte diese Aufgabe im Stil eines Champions. Er, in dem alle den legitimen Nachfolger des legendären Josy Barthels sehen, der 1952 in Helsinki über 1.500 Meter Olympiasieger wurde, hielt dem Druck stand und gewann souverän. Der Erzherzog warf ihm die Medaille um den Hals, die Hymne erklang, und alle waren zufrieden.

Die Unterschiede zwischen den großen Olympischen Spielen und denjenigen auf Malta fallen gar nicht so deutlich aus – nur ist eben alles ein wenig kleiner. Eine niedliche Miniaturausgabe. Die „Spiele der europäischen Kleinstaaten“, deren zehnte Auflage in der ersten Juniwoche diesmal auf der Mittelmeerinsel stattfand, imitieren das gigantische Vorbild in all ihren Ritualen: Es gibt Eröffnungs- und Abschlusszeremonien, eigene Medaillen, eine Fackel, einen offiziellen Song und selbstverständlich auch eine Charta, der sich die teilnehmenden Athleten und Offiziellen zu unterwerfen haben. Seit 1985 kämpfen die Athleten aus acht europäischen Staaten, die nicht mehr als eine Million Einwohner haben dürfen, bei diesen Titelkämpfen um Ruhm und Ehre. Und so sehr dieses olympische Liliput auch von großen Sportnationen wie Deutschland belächelt wird, so bedeutsam ist es für die teilnehmenden Nationen San Marino, Island, Andorra, Luxemburg, Malta, Monaco, Liechtenstein und Zypern. Handelt es sich dabei doch für viele Sportlerinnen und Sportler um die einzige Möglichkeit, um internationale Titel zu kämpfen, weil die Qualifikationshürden für Olympische Spiele und Weltmeisterschaften zu hoch sind und auch die Wildcards für so genannte Sportzwerge immer seltener werden.

Natürlich erwarten den Zuschauer keine Weltrekorde. Die erreichten Zeiten, Weiten und Punkte spielen aber ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. Wichtig sind Siege, denn auch die 390.000 Menschen in Luxemburg wollen sich spiegeln in den Erfolgen ihrer Athleten, auch sie sind gierig auf Idole, wenngleich sie keine weltweite Strahlkraft besitzen. Deswegen ist dieser Sieg für David Fiegen, der für den TV Wattenscheid startet, „eine ganz große Geschichte“, sagt der dort zuständige Coach Markus Kubillus, selbst wenn das international nicht zur Kenntnis genommen werde. Einen „enorm großen Stellenwert“ konstatiert auch Heimtrainer und Vater Roman. „Viele haben das sogar als eine Art nationale Pflicht angesehen“, sagt der Vater, denn die Unterstützung vom Nationalen Olympischen Komitee und vom Sportministerium sei groß. „Mein Sohn ist ein Star hier“, sagt er und fügt ein „leider“ hinzu, weil ihm der Erfolgszwang nicht geheuer erscheint.

Es ist interessant zu beobachten, dass selbst die Spiele der Kleinstaaten mit der Zeit einen Hang zu Superlativen entwickeln. Während nämlich nur 300 Sportler an der Premiere in San Marino teilnahmen, musste Malta nun bereits rund tausend Athleten und rund 400 Betreuer und Offizielle unterbringen, obwohl nur sieben Sportarten ausgetragen werden (Leichtathletik, Schwimmen, Basketball, Schießen, Judo, Radsport, Gewichtheben). Sogar die Times of Malta, die täglich über mehrere Seiten speziell die „local heroes“ würdigte, hat sich deswegen hinreißen lassen zu leiser Kritik, die Spiele mögen doch wieder gemütlicher werden. Auch die Worte von Jacques Rogges, der an der Eröffnungsfeier teilnahm, deuteten in diese Richtung. „Erinnert euch daran“, bat der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, der Mühe hat, „seine“ Spiele vom Gigantismus und seinen Auswüchsen zu befreien, „dass es nicht nur um den Wettkampf geht, sondern auch darum, die wahren Werte des Sports zu zeigen.“ Diskussionen um Startberechtigungen von Athleten hat es schon gegeben.

David Fiegen wäre von solchen Ausscheidungen nicht betroffen. Er wird nicht mehr belächelt in großen Rennen, denn mit seiner Bestzeit von 1:45,96 Minuten nagt er bereits an der Weltspitze. Sein Vater und er haben deswegen das Training auch nicht auf Malta ausgerichtet, sondern selbstverständlich auf die Weltmeisterschaften in Paris. Dort will der Newcomer „ein wenig die Großen necken“, die Schumanns, Kipketers und Buchers. „Es wäre schön, wenn David eine Runde weiter käme“, sagt sein Vater, und er weiß: Wenn sein Sohn bei den Weltmeisterschaften nur in den Endlauf käme, dann ist es nicht mehr weit zu einer Legende des Sports. In Luxemburg, versteht sich.