Bremen 2020: Hilfe – wir sterben aus

Ganz schlecht weg kommt Bremen in einer Studie des Berlin-Instituts für Weltbevölkerung und globale Entwicklung, die das Magazin geo veröffentlicht: „Deutschland 2020“. Politik und Wissenschaft reagieren verärgert und werfen Studie Fehler vor

Bremen taz ■ Da taucht Monat für Monat eine Studie auf, die von einer neuen Wirtschaftsdynamik in Bremen kündet. Und jetzt macht das Magazin geo all die Euphorie wieder kaputt: Bremen sei sterbenskrank, wie die Ratten verließen die Bewohner das sinkende Bundesland. Zurück blieben immer ältere, immer ärmere, immer schlechter ausgebildete Menschen. „Anders als das insgesamt stabile Niedersachsen verliert der Zwergenstaat Bremen bis 2020 vermutlich mehr als ein Zehntel seiner Einwohner.“ Während die angrenzenden Landkreise in den vergangenen zehn Jahren über zehn Prozent Bevölkerungszuwachs verzeichnet hätten: „160.000 pendeln täglich zwischen dem extrem verschuldeten Stadtstaat und dem niedersächsischen Umland – und zahlen dort ihre Steuern.“

So steht’s in der am 26. April erscheinenden geo-Ausgabe, die eine Studie des Berlin-Institutes für Weltbevölkerung und globale Entwicklung journalistisch aufbereitet: „Deutschland 2020“. Bei dem Trend-Test haben die Wissenschaftler alle 440 deutschen Kreise und kreisfreien Städte nach der üblichen Schulnoten-Logik bewertet. Herangezogen wurden Wirtschafts-, Bildungs- und Bevölkerungs-Daten. Danach belegt Bremerhaven mit der Note 4,95 den definitiv letzten Platz, Bremen ist mit 4,18 auch nicht viel besser: gerade noch versetzungsfähig.

Dicke fette Fünfen und Sechsen bekommt Bremen dabei reichlich verliehen. Zu hoch sei etwa die Zahl der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger, zu niedrig die der Hochbegabten, Kindergärten und jährlich gebauten Wohnungen. Auch der prozentuale Anteil der unter 20-Jährigen an der Gesamtbevölkerung sowie die Geburtenquote gäben wenig Anlass, Bremen eine „Zukunftsfähigkeit“ zuzusprechen. „Wollte Deutschland seine Bevölkerungszahl halten“, schreibt geo-Chef Gaede, müsste die durchschnittliche Geburtenrate bei 2,1 Kindern pro Frau liegen. In Bremen liege sie bei 1,35.

Dass Bremen dabei nicht entvölkert wurde, liegt auch daran, dass inzwischen 12 Millionen Menschen in Deutschland leben, die nicht dort geboren wurden oder nicht die deutsche Nationalität besitzen. So konnte bundesweit sogar ein Anstieg der Einwohnerzahl (1990 - 2001) um 3,8 Prozent verzeichnet werden. Bremen habe einen Ausländeranteil von 12,5 Prozent, was die Abwanderung mindestens ausgleiche.

Auf den Strukturwandel habe Bremen und Bremerhaven „zu spät reagiert“, so ein Fazit der Erhebung. Das sei „unbestritten“, lässt sich Bremens Wirtschaftssenator Hartmut Perschau (CDU) von seinem Sprecher Stefan Luft zitieren. Jetzt versuche man ja, die Abwanderung zu bremsen: „Aber von der Ausweisung neuer Wohngebiete in Bremen bis zum Anrollen der ersten Bagger dauert es sieben Jahre.“

Die Veränderungen vollziehen sich regional unterschiedlich. Immer mehr Menschen ziehen in Ballungsräume, die eine wirtschaftliche Perspektive bieten. 19 der 20 Kreise mit den besten Noten liegen in der Gegend um München, Erlangen, Stuttgart und Heilbronn. Also: schnell in Bayern und Baden-Württemberg bewerben?

„Nein, nein“, ärgert sich Bremens Wirtschaftspolitik-Professor Rudolf Hickel. „Was uns geo da um die Ohren haut, ist ja schrecklich.“ Beispielsweise werde negativ benotet, dass die Staatsverschuldung gestiegen sei, dabei aber nicht positiv bewertet, dass so mehr Geld investiert werden konnte. „Und die 5 in Tourismus, die stimmt einfach nicht.“ Der Bereich sei jährlich erfolgreicher. Mit „uralten Daten“ verdecke man Wandel und Fortschritt: weg von Schifffahrt und Stahl, hin zu Technologiepark und Dienstleistungen. Hickel: „Bremen stirbt nicht.“ fis