berliner szenen Sonnenbeschienen

Vorsätze knospen

Im Frühling fährt sie vom Kottbusser Tor zum Helmholtzplatz und denkt sich eine andere Stadt. Sieht zu, wie sich der Zigarettenrauch durch das Sonnenlicht windet. Setzt sich mit Laptop in ein Café. Durchgefroren, weil sie das neue Buch unbedingt draußen in der Sonne auf der Bank lesen wollte. Ist ja jetzt Frühling.

Im Frühjahr macht es wieder Sinn, arbeitslos zu sein. Und ehe sie sich’s versieht, hat sie wegen ihrer neuen Energie wieder einen Job und muss früh schlafen gehen. Im Frühling fährt sie raus aufs Land und wundert sich, wie anstrengend es sein kann, auf weichem Waldboden zu laufen.

Im Frühling bekommt sie ständig Kurzmitteilungen, die zum Spazieren einladen, und denkt vor dem Einschlafen über Trennkost nach. Sie kauft sich Rasierschaum, der dann Monate im Schrank steht. Im Frühjahr wundert sie sich, warum die Studenten schon wieder Semesterferien haben, und überlegt ernsthaft, sich zum Wintersemester einzuschreiben. Aber das ist ja noch fast ein Jahr hin.

Im Frühling fängt sie wieder an zu fotografieren. Hat ihre Kamera immer mit, entwickelt den Film aber erst später. Im Frühjahr leiht sie sich den Hund vom Bekannten aus und fängt an zu joggen – bis zum ersten Muskelkater. Dann humpelt sie zur zweiten Stunde des Spanischkurses.

In den Cafés will sie unbedingt den Sonnenfensterplatz und könnte sich in fast jeden, der grinsend vorbeiläuft, verlieben. Aber bevor es so weit kommt, dreht sie sich lieber um. Bei den ersten Sonnenstrahlen könnte sie sich vorstellen, ihr Geld mit Zeitungsverkauf in den Kneipen zu verdienen, aber dann denkt sie, dass sie überhaupt kein Geld braucht. Im Frühling überlegt sie, Berlin während des Sommers zu verlassen. Mindestens für einen Monat. LAURA EWERT