Stoß auf die Türe deiner Herkunft!

Ein Soldat mit Wutproblemen muss zum Therapeuten: Denzel Washington zeigt in seinem Regiedebüt eine wahre Erfolgsgeschichte – die „Antwone-Fisher-Story“

Obwohl autobiografisch, also mit dem Emblem „wahre Geschichte“ versehen, folgt die „Antwone-Fisher-Story“ einem hinlänglich vertrauten Muster. Ein junger Mann an der Schwelle des Erfolgs wird von den Geistern seiner unglücklichen Kindheit eingeholt. Erst die bewusste Konfrontation mit der Vergangenheit kann den bösen Zauber bannen. Nun steht dem beruflichen Aufstieg nichts mehr im Wege. Wie nebenbei findet sich das passende Mädchen. Happy ending guaranteed.

Reduziert man den Inhalt des Films auf das Stereotyp des modernen, psychotherapeutisch begleiteten Bildungsromans, tritt das Paradox hervor: Ohne die Versicherung, dass es sich hier um authentisches Material handelt, würde man die Geschichte für schlecht erfunden halten – und für ziemlich dick aufgetragen. Das schwarze Waisenkind Antwone – der Vater wurde noch vor seiner Geburt erschossen, die Mutter im Gefängnis vergisst ihn einfach – wächst bei einer Pflegefamilie auf, in der er misshandelt und missbraucht wird. Dem aufstrebenden jungen Soldaten, als der Antwone (Derek Luke) zu Beginn des Films eingeführt wird, sieht man die früh erlittenen Schmerzen jedoch kaum mehr an – wäre da nicht sein „Wutproblem“. Antwone kann in manchen Situationen seinen Jähzorn nicht zügeln. Seine Vorgesetzten schicken ihn zum Therapeuten.

Die Antwone-Fisher-Story ist, gerade weil sie echt ist, eine Erfolgsgeschichte, denn nur wer aus der Hölle einer solchen Kindheit herausgefunden hat, kann davon noch erzählen. So weiß man im Film im Grunde von Anfang an, dass es auf die Heilung hinausläuft. Die erste Szene, eine traumartige Sequenz, in der der kleine Junge die Tür einer Heuschobers aufstößt und dahinter einen gedeckten Tisch entdeckt, ist die noch angstvoll verformte Vision der großen Versöhnung, die am Ende kein Zuschauerauge trocken lässt. Seine Spannung bezieht der Film ganz aus dem therapeutischen Prozess des Türen-Aufstoßens. (Empfindsame Zuschauer seien an dieser Stelle gewarnt: Der Film entfaltet stellenweise eine emotionale Wucht, die einen selbst bei der reinen Nacherzählung noch zum Weinen bringen kann.)

Zuerst weigert sich Antwone, dem die Sitzungen ja zwangsverschrieben wurden, überhaupt etwas zu sagen. Er besteht darauf, normal zu sein und keine Therapie zu brauchen. Stunde um Stunde lässt er verstreichen, im stummen Wettkampf mit seinem Gegenüber. Dann räuspert er sich einmal. „Was haben Sie gesagt?“, fragt ihn der Psychologe (Denzel Washington). Und während er noch jede bewusste Äußerung abstreitet, bricht es aus Antwone heraus, so unaufhaltsam, dass er schließlich seinem Therapeuten nachstellt, um noch mehr Stunden zu bekommen. Womit er die erste wichtige Lektion schon gelernt hat: um Hilfe bitten zu können.

Man hat Denzel Washingtons Regiedebüt vorgeworfen, über der Psychologie den alltäglichen Rassismus ganz zu vergessen. Tatsächlich zeigt der Film in erster Linie, was Schwarze anderen Schwarzen antun. Auch in der sozialen Sphäre begnügt er sich so gesehen mit Innenansichten. Die sind jedoch erstaunlich stimmig. Selten wurde im Kino die amerikanische Armee zum Beispiel so deutlich als Sozialdienst mit den Mitteln des Militärs, als Bildungsanstalt für die Deklassierten und Unterprivilegierten herausgestellt – in der man sich sogar um deren seelisches Wohl kümmert. Das therapeutische Ideologem, das die Aussöhnung mit der Herkunft vorsieht, bevor man ihr wirklich entrinnen kann, bekommt in diesem Kontext noch eine andere Bedeutung. Ob das Glück der erfolgreich Therapierten lediglich das einer gesellschaftlichen Anpassung ist, war schon immer die Frage. BARBARA SCHWEIZERHOF

„Die Antwone-Fisher-Story“. Regie: Denzel Washington. Mit Derek Luke, Denzel Washington, Salli Richardson u. a. USA 2002, 120 Min.