In perfekter Kulisse

Der Hauptstadtsitz der Bertelsmann AG, die rekonstruierte Kommandatur an den Linden, erhält seine Fassade. Die gleicht bis ins Detail dem Haus von 1874 und lässt darum umso mehr an Disney denken

Sind die Planen am Gerüst einmal weg, erwartet uns die perfekte Illusion

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Für die Repräsentanten der Bertelsmann AG erschien die Aktion am Donnerstag Punkt 12.00 Uhr wie ein Naturschauspiel. Da erhob sich ein großer Adler vom Erdboden, stieg mit ausgebreiteten Schwingen in die Lüfte vor der Baustelle Unter den Linden 1 und setzte sich auf die Nordecke des früheren „Kommandantenhauses“, das der Medienkonzern bis zum Herbst dieses Jahres für sich als „Hauptstadtsitz“ original rekonstruiert. „Der Adler ist gelandet“, entfuhr es einem, als der Vogel auf der Dachkante Platz genommen hatte. So schön kann Bauen sein.

Natürlich flog der große Adler nicht. Ein Kran hatte die Terrakottaskulptur aus Anlass der Vorstellung der Fassadenarbeiten des 1873 entstandenen und 1950 von den DDR-Oberen abgetragenen Stadtpalais nach oben gehievt. Dass dennoch eine Naturassoziation in die Sinne der Bertelsmänner gekommen war, mag daran gelegen haben, dass sowohl die Figur, das Material und die handwerkliche Genauigkeit des Adlers dem seines originalen Vorgängers aus dem 19. Jahrhundert bis ins Detail entspricht.

Bertelsmann hat sich für den Hauptstadtsitz des Konzerns und für die gleichnamige Stiftung viel Mühe gemacht. Man habe den Standort der einstigen Kommandatur gegenüber dem Zeughaus bewußt ausgesucht, sagte Projektleiter Bauer, um einen Anteil am Wiederaufbau der historischen Mitte Berlin zu leisten.

Von Anfang an – und insbesondere seit Baubeginn 2001 – stand nicht ein Neubau auf der Rechnung der Medienmacher, sondern der Versuch einer möglichst „originalgetreuen Rekonstruktion“ des Hauses, an dessen Stelle das spätere DDR-Außenministerium realisiert worden war. Schließlich sei es eine „Herausforderung“ der Architekten und Denkmalexperten gewesen, der Fassade ihr einstiges Gesicht wiedergeben zu wollen, existierten doch keine Pläne mehr des früheren Gebäudes.

Mit nicht wenig Stolz präsentierte Bertelsmann darum gestern die fast zur Hälfte vollendeten Rekonstruktionsarbeiten an der Fassade – die „einem archäologischen Prozess“ gleichkamen. Da historische Baupläne fehlten, bildeten Fotovorlagen die Grundlage des Wiederaufbaus, sagte Rupert Stuhlemmer, Architekt für die Außenhaut. Mit Glück hatte man ein 40 mal 40 Zentimeter großes Glasplattennegativ von 1910 aus dem Meßbildarchiv sowie 30 Amateuaufnahmen gefunden. „Dieses wurde zum Teil digital geschärft und in Zusammenarbeit mit der TU maßstäblich entzerrt“, um genaue Proportionen der Fassade, der Säulen, des Bilderschmucks und auch der acht Adler zu erhalten.

Zugleich ließen sich aus dem Katasterplan von 1880 die Außenlinien des Gebäudes, sein Volumen und die genaue Höhe ermitteln. Ergebnis der Bemühungen sei endlich die „präzise, millimetergenaue“ Architektur des preußischen Baujuwels gewesen, so der Architekt. Hinzu seien „archäologische Erkundungsgrabungen“ gekommen, betonte Stuhlemmer. In der Baugrube habe man Reste des einstigen Fundaments, Sandsteintrümmer des Sockels sowie Teile der Gurtgesimse, der Backsteinmauer und jener Terrakottadler entdeckt, die nun Auskunft über das Material des Hauses geben konnten.

Backsteine und 312 Tonnen Sandstein seinen für das dreigeschossige Gebäude mit seinem Sockel, Säulenportikus, den Löwenköpfen über den Fenstern und für die Adler aus dem polnischen Radkow herangeschafft worden – genauso viel wie damals um 1870 für die alte Kommandatur, Haus der Wachmannschaft für die Neue Wache von Karl Friedrich Schinkel schräg gegenüber.

Bertelsmann hat sich schon bei der Vorstellung der Entwürfe 1999 den Vorwurf des Disney-Verschnitts für seine Repräsentanz anhören müssen. Denn die Innenräume werden nach den Plänen der Architekten van der Valentyn/Dittmann (Köln) modern und zweckmäßig gestaltet.

Nach dem gestrigen Tag ist der Vorwurf der 24 Millionen Euro teuren Kulissenarchitektur keineswegs vom Tisch, die die Berliner Bauverwaltung dort mit Verve unterstützt hat, um Nostalgie wieder in die Mitte einziehen zu lassen.

Vielmehr erwartet uns, sind die Planen vor den Gerüsten einmal verpackt, die perfekte Illusion einer quasihistorischen Fassade. Dasselbe wird dann auch in der Nachbarschaft entstehen, wo Schinkels Bauakademie, wie schon eine fertige Eckattrappe vorführt, handwerklich originalgetreu rekonstruiert werden soll – unter dem Motto: Wenn schon, dann richtig.