Anschaffen nach Tarif

ver.di-Fachtagung zum „Arbeitsplatz Prostitution“: Für die Sexarbeiterinnen selbst bleibt das wenigste Geld übrig. Gewerkschaft versucht mit Mustervertrag daher, Rechtssicherheit zu schaffen, aber es gibt zahlreiche Widerstände

von KAI VON APPEN

Sie werden noch immer als „Huren“ und „Nutten“ abqualifiziert – daran hat auch die Liberalisierung des Prostitutionsgesetzes vor zwei Jahren nichts geändert. Nun versucht die Gewerkschaft ver.di den Job der Sexarbeiterinnen aus der „gewerkschaftlichen Brille“ neu zu bewerten. So stellte ver.di gestern auf Bundestagung „Arbeitsplatz Prostitution“ in Hamburg neben einer Studie einen Musterarbeitsvertrag für die Branche vor. „Obwohl Prostitution jetzt offiziell legal ist, werden Sexarbeiterinnen weiterhin diskriminiert.“ Zu diesem Schluss kommt die Verfasserin, Emilija Mitrovic von der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg: „Prostitution ist keine Arbeit wie jede andere, aber es müssten dort Rechte wie in jeden anderen Berufe gelten.“

Schon längst ist die Prostitution zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden. Schätzungsweise 400.000 Frauen gehen bundesweit der Sexarbeit nach, täglich nehmen 1,2 Millionen Männer sexuelle Dienstleistungen von Frauen entgegen, der Umsatz der Sexindustrie wird auf rund 14,5 Milliarden Euro geschätzt. Während eine Sexarbeiterin täglich zwischen 150 und 300 Euro einnimmt, bleiben am Ende des Monats in der Regel nur 1.500 Euro übrig. „Der Löwenanteil läuft woanders hin“, so Mitrovic. Für Zuhälter, Anzeigen, Miete oder ähnliches. Daher soll mit dem Mustervertrag die Beziehungen zwischen BordellbetreiberIn und Sexarbeiterin geregelt werden.

Der Vertrag stößt auf geteilte Resonanz. „Der Arbeitsvertrag in einer solchen Branche ist nicht unkompliziert“, räumt ver.di-Jurist Max Goussone auch ein. Denn im Prostitutionsgesetz gebe es eine Klausel – anders als in anderen Arbeitskomplexen –, dass eine Frau zu der Tätigkeit nicht gezwungen werden kann. „Ich bin sehr froh, dass es jetzt so etwas gibt“, konstatiert dennoch eine Teilnehmerin, die sich als langjährige Bordellleiterin outet. Sie schätzt es aber nicht als leicht ein, dies breit umzusetzen. „Dafür ist die Geschichte und Kultur in dem Gewerbe zu eingefahren.“ Eine andere Sexarbeiterin sieht in dem Kontrakt jedoch wenigstens eine Chance, „Miminalstandards“ wie Kranken- und Sozialversicherungsabgaben zu regeln: „Der Rest wird wohl weiterhin direkt mit der Bordellchefin ausgehandelt.“

Trotz der Liberalisierung des Prostitutionsgesetzes zieht ver.di nach zwei Jahre eine sehr düstere Bilanz. „Kaum eine der befragten Prostituierten nahm eine Verbesserung wahr“, berichtet Mitrovic. Das liegt an der unterschiedlichen Auslegung: „Es gibt keinen klaren Rahmen, wie das Gesetz anzuwenden ist“, sagt Karin Topper von der Frauenberatungstelle „Kassandra“ in Nürnberg. In allen Städten gebe es noch Sperrgebiets-Verordnungen. „Hamburg ist da tradtionell am liberalsten“, sagt Mitrovic. Hier ist die Bordell- und Wohnungsprostitution im ganzen Stadtgebiet erlaubt. Und auch bei der Besteuerung der Einahmen wird bundesweit unterschiedlich vorgegangen, da es in dem Gesetz keine „Stichtagsregelung“ gibt. Während Hamburg keine Steuern kassiere, verlange der Fiskus woanders rückwirkende Zahlungen. „Bremen ist da besonders schlimm“, sagt Topper. „Wenn Frauen sagen, ab heute mache ich eine Steuererklärung, müssen sie plötzlich nachweisen, was sie in den letzten zehn Jahren gemacht haben.“

Durch die EU-Erweiterung wird ein weiterer Boom und ein Anstieg von Migrantinnen ohne legalen Aufenhaltstatus erwartet. Mitrovic: „Wenn man diesen Frauen erlauben würde, dass sie drei Monate hier als Prostitutierte arbeiten und dafür ihre Famile ein ganze Jahr ernähren zu können, wäre das der richtige Weg.“

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