Ich bin so satt, ich mag kein Blatt

Das Biotier des Monats, die Ziege, ist launisch und anspruchsvoll wie im Märchen. Im Alter schmeckt sie etwas streng

Olivia Jessens Ziegen verhalten sich so wie deren prominente Ahnin in „Tischlein deck dich!“: Kriegen sie nicht, was sie wollen, geben sie keine Milch. Bauer und Bäuerin Jessen jagen sich dann aber nicht gleich gegenseitig vom Hof, so wie es der Schneider aus dem Märchen mit seinen Söhnen machte. Sie wissen die Eigenarten der Ziege zu würdigen, die der ökologische Landbauverband Bioland als Biotier des Monats Mai promotet.

Als Olivia und Behrendt Jessen Ende der 90er Jahre überlegten, sich selbständig zu machen, standen sie vor der Wahl, Schafe oder Ziegen zu halten. Wegen deren „komplexeren Charakters“ hätten sie sich für Ziegen entschieden, erzählt die Bäuerin aus dem nordfriesischen Joldelund.

Das fange beim Fressen an, setze sich über Empfindlichkeit gegen Kälte und Regen fort und reiche bis zum Lammen. „Manche Ziegen kümmern sich um ihre Lämmer gar nicht, andere adoptieren welche und wieder andere hätten am liebsten einen ganzen Kindergarten“, erzählt Olivia Jessen. Während des Telefonierens behält sie mit einem Auge den Himmel im Blick, um die Tiere rechtzeitig in den Stall holen zu können. Sie will nicht riskieren, dass sie nass werden, schlechte Laune kriegen und keine Milch geben. „Geht‘s einer schlecht, merkt das die ganze Herde“, sagt die Bäuerin.

Die Ziegenhaltung bot sich für die Jessens an, weil sie nicht vom Quoten- und Prämiensystem der EU erfasst wird. Das Paar konnte keinen Hof erben und hätte kein Geld gehabt, sich eine Milchquote zu kaufen. Inzwischen halten sie an die 130 Ziegen, deren Milch sie an eine Meierei verkaufen.

Schwierigkeiten macht den Jessens der Fleischabsatz. Die Kundschaft störe sich am strengen Geschmack alter Böcke und Ziegen. Die Bauern verkaufen daher Zicklein im Alter von 14 bis 16 Wochen – eine Delikatesse, die allerdings nicht ganz billig und in Bio-Qualität kaum abzusetzen ist: Obwohl sie selbst schlachten, müssen die Jessens 14 Euro pro Kilo Fleisch verlangen. „In zwölf Wochen haben wir Futterkosten von 50 Euro“, sagt Olivia Jessen.

Ihre Bio-Zicklein müssen mit Milch aufgezogen werden, während Zicklein auf konventionell wirtschaftenden Höfen mit Milchersatz gefüttert werden dürfen. 90 Prozent des Futters für Bioziegen muss aus dem ökologischen Landbau stammen, bei Bioland sind es sogar 100 Prozent. Bäuerin Jessen schätzt die Futterkosten für ein konventionelles Zicklein auf die Hälfte.

Dafür brauchen ältere Ziegen keine fetten Wiesen, um Appetit zu entwickeln. Ihre Schmankerln finden sie auch auf kargen Flächen. Sie schützen so wertvolle Landschaften wie Trockenrasen vor dem Verbuschen und erhalten damit gefährdete Pflanzen wie Orchideen. Sollen sie viel Milch geben, muss der Bauer Getreide als Kraftfutter dazu geben.

Nicht jede der 17.000 Bioziegen in Deutschland tummelt sich allerdings auf der Heide. Bioziegen haben zwar Anspruch auf Bewegung an frischer Luft. Steht ihnen keine Weide zur Verfügung, muss ein befestigter Auslauf reichen. Der Anteil ökologisch gehaltener Tiere ist bei den Ziegen mit neun Prozent höher als bei jeder anderen Tierart.Gernot Knödler