Polens Regierung spielt „Schiffe versenken“

Finanzminister Grzegorz Kolodko tritt zurück. Heute stellt Premier Leszek Miller im Parlament die Vertrauensfrage

Wir sind ihn los: den Schnösel, den Meister des Uns-in-die-Tasche-Greifens

WARSCHAU taz ■ „Die beste Idee Kolodkos“ – mit dieser Schlagzeile feierte die Boulevardzeitung Superexpress den Rücktritt des polnischen Finanzministers Grzegorz Kolodko. Erleichtert setzte sie hinzu: „Wir sind ihn los: den Schnösel, den billigen Schauspieler, den Meister des Uns-in-die-Tasche-Greifens.“ Das Wirtschaftsblatt Puls Biznesu trat auch noch kräftig nach: „341 Tage. So lange versuchte Grzegorz Kolodko uns weiszumachen, dass er ein kompetenter Minister ist. Jetzt ist er gegangen: Endlich“.

Über die „Chaosregierung“ Leszek Millers vom Bündnis der demokratischen Linken (SLD) wird in Polen nur noch sarkastisch gewitzelt. Unfähigkeit und Korruption unter den Ministern haben so weit geführt, dass Polens größte Tageszeitung Gazeta Wyborcza schon seit Tagen „Schiffe versenken“ spielt und die Politiker inzwischen durchnumeriert: „Versenkt Nr. 2!, Versenkt Nr. 3!“

Doch Leszek Miller, dessen Name auch immer wieder im Zusammenhang mit den Korruptionsskandalen genannt wird, will nun allen zeigen, was eine Harke ist. Heute stellt er im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, die Vertrauensfrage. Da für Miller nicht nur die Koalitionsparteien „Bündnis der demokratischen Linken“ (SLD) und „Union der Arbeit“ (UP) stimmen werden, sondern auch zwei Splitterparteien sowie mindestens zwölf parteilose Abgeordnete, wird Miller mitsamt seiner Truppe wohl gestärkt aus der Abstimmung hervorgehen.

Für Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski, der an der Spitze der Regierung gern einen anderen Kopf gesehen hätte, bedeutete schon die Ankündigung der Vertrauensfrage im Sejm eine herbe Schlappe. Immerhin hatte er vollmundig angekündigt, in Regierung und Parlament „aufräumen“ zu wollen, sobald die Polen in der Volksabstimmung für den Beitritt Polens in die Europäische Gemeinschaft gestimmt hätten.

Doch Miller kam Kwaśniewski zuvor. Statt der geplanten „Jetzt komme ich“-Rede verkündete Kwaśniewski im kleinlauten „Pech gehabt“-Stil: „Eine Mehrheit ist eine Mehrheit. Wenn Miller die Vertrauensfrage stellt und dabei die Mehrheit erringt, bedeutet dies, dass er über die Mehrheit verfügt.“ Da könne dann auch ein Präsident nichts mehr machen, zuckte er resigniert die Achseln.

Polens neuer Finanzminister Andrzej Raczko, der bisher weitgehend unbekannte Stellvertreter Kolodkos, muss nun innerhalb der nächsten Wochen eine Reform der öffentlichen Finanzen vorlegen. Außerdem einen Sparhaushalt für das Jahr 2004. Dies hat zwar Kolodko bereits am vergangenen Dienstag getan. Doch seine „Traumzahl“ von 33,1 Milliarden Zloty minus im Haushalt erreichte er, indem er 9 Milliarden Zloty Währungsreserven der Nationalbank auflöste und schon mal als „Plus“ in den Haushalt einrechnete, andererseits aber fast 12 Milliarden Zloty Rentenzuschüsse des Staates rausrechnete.

Ein „kreatives Budget“ nannte die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita die seltsamen Rechenkunststücke Grzegorz Kolodkos. Massiven Protest legte auch der Präsident der polnischen Nationalbank, Leszek Balcerowicz, ein: „Wir werden die Notenpresse nicht in Gang setzen. Das wäre ein Verfassungsbruch.“ Der neue Minister wird erst am kommenden Montag ernannt – nach der heutigen Vertrauensabstimmung im Sejm.

GABRIELE LESSER