Die Familienbande

Mit der Kraft der sieben Gitarren: Einst galten die Gipsy Kings als mediterrane Stimmungskapelle. Doch bei ihrem Konzert am Donnerstag im Tempodrom zogen sie bewusst andere Saiten auf

Von DANIEL BAX

Es gab eine Zeit, da gab es vor den Gipsy Kings kein Entrinnen. Ende der Achtzigerjahre errangen sie zunächst die Lufthoheit über die Strandcafés, Bars und Freiluftdiscotheken rund ums Mittelmeer und eroberten dann weltweit die Charts. Ihre Sommerhits frästen sich jedem ins Ohr, der nicht völlig taub war.

Dabei beruhte der Erfolg der Gipsy Kings schon immer auf einer echten Familientradition. Denn der Kern der Band entstammt einem alten Roma-Clan, der während des Bürgerkriegs aus Nordspanien emigriert war, und sich jenseits der Grenze in der Camargue niedergelassen hatte. Um die Städte Arles und Montpellier lebt noch heute die größte Zigeunergemeinde Frankreichs. Hier ist die so genannte Rumba Gitana zu Hause: Die musikalische Basis für die Hits der Gipsy Kings, die das Genre in eine neue Dimension – manche sagen auch: über jede Schmerzgrenze hinweg – katapultiert haben.

Die Geburtsstunde der Gipsy Kings schlug in den späten Siebzigern, als sich die vier Söhne des Flamenco-Sängers José Reyes mit den Söhnen eines anderen Flamenco-Stars, Manita de Plata, zusammentaten. Gemeinsam verdingten sie sich auf Festivals, Hochzeiten und Prominentenparties in St.Tropez, und ihre ersten Alben erschienen auf dem Salsa-Label Fania. Erst das Zusammentreffen mit dem französischen Produzenten Claude Martinez aber, der ihnen den kommerziellen Feinschliff gab, brachte ihnen den Weltruhm.

Doch nach einer ganzen Reihe weltweiter Top-Ten-Hits hatten die Gipsy Kings Mitte der Neunziger Jahre den Zenit ihrer Karriere erreicht. Und es schien, als seien auch sie selbst müde von ihren eigenen Gassenhauern.

Mit ihrem allerletzten Album „Roots“ haben sie nun, auf ihre alten Tage, doch noch einen neuen Kurs eingeschlagen: Ohne Synthesizer und High-Tech-Equipment in einem ausgebauten Bauernhaus unplugged aufgenommen, geben sich die Gipsy Kings darauf betont puristisch, zurückgelehnt und unkommerziell.

So zogen sie auch bei ihrem Auftritt im Tempodrom am Donnerstag abend zunächst andere Saiten auf. Auf die Bühne traten sie, komplett in schwarz gekleidet, mit Lederhosen und luftigen Hemden, und bauten eine Front aus bis zu sieben Gitarren auf. Mit ihren gegerbten Johnny-Cash-Gesichtern wirkten sie wie eine Armee von Zorro-Gegenspielern. Im Hintergrund liefen derweil Dias über eine Leinwand, die vom Zigeunerleben im Südeuropa der Sechzigerjahre, von Stierkämpfen und Lagerfeuern vor dem Camping-Caravan erzählten und schwarz-weiße Roma-Romantik verbreiteten.

Doch im mäßig gefüllten Tempodrom stießen sie damit nur auf verhaltene Gegenliebe. Denn wer nur auf die einschlägigen Hits wartete, dem konnte die Zeit durchaus lang werden. Das rundum biedere Publikum aus aufgeschlossenen Morgenpost-Lesern und Radio-106,8-Hörern, gewappnet mit dem Willen zur Weltoffenheit und einem gewissen bildungsbürgerlichen Anspruch, schien zwar nicht allein auf Sangriaseligkeit aus. Doch erst nach 45 Minuten kam mit dem Hit „Djobi, Djoba“ erste Wiedererkennungsfreude auf. Da schwangen sich die Männer in den Holzfällerhemden mit ihren lockigen Freundinnen im ausgelassenen Paartanz, und auch die älteren Semester hielt es nicht mehr auf ihren Sitzbänken.

Um so überraschender war es, dass die Gipsy Kings keine fünf Minuten später plötzlich eine Pause einlegten. Danach schien es, als wollten sie den Abend möglichst effektiv hinter sich bringen, um sich hinter der Bühne das verdiente Feierabendbier zu genehmigen. Relativ unbewegt schrubbten sie ihre Songs herunter, gewohnt, mit wenigen Akkorden den maximalen Mitschunkel-Faktor zu erreichen.

Zum Finale hatten sie sich dann recht weit von ihren anfänglichen „Roots“ entfernt. Das Schlagzeug gab den Marschrhythmus vor, und das Konzert mündete in das unvermeidliche „Bamboleo“. So wurden sie doch noch ihrem Ruf als Stimmungskapelle gerecht.