Sozialstrukturatlas
: Nur Statistik reicht nicht aus

Wie viel Statistik braucht die Berliner Politik noch, um endlich ihren Blick auf den Alltag der Berliner Bevölkerung zu richten? Der neue Sozialstrukturatlas, den die Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner gestern vorgestellt hat, belegt, was längst gefühlte Berlin-Realität ist: dass es eine zunehmende Verarmung eines großen Teils der hauptstädtischen Bevölkerung gibt, dass Bezirke, die immer schon arm waren, noch ärmer werden, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet.

KOMMENTAR VON WALTRAUD SCHWAB

Seit Jahren ist das alles bekannt. Seit Jahren gibt es ein Aufheulen, wenn neue Zahlen es wieder bestätigen. Seit Jahren gibt es nach der Verkündung neuer Zahlen einen politischen Schlagabtausch zwischen den Parteien, bei dem Schuldige gesucht werden. Und seit Jahren passiert nach diesem ritualisierten Schlagabtausch nichts mehr.

Fatal ist diese Art von Politik. Es ist eine, die nur sich selbst bestätigt. Am Ende, das zeichnet sich in den ersten Stellungnahmen zum Sozialstrukturatlas schon ab, werden es die Bezirke sein, die am Pranger stehen. Kreuzberg, Wedding, Tiergarten, Neukölln – unfähig, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen? Dass sich nun auch das eigensinnig verwaltete Marzahn-Hellersdorf den Schlusslichtern annähert, wird Öl auf das Feuer der Bezirkekritiker schütten. Dabei braucht Berlin vor allem zwei Dinge: eine Hauptverwaltung, die die Bezirke nicht weiter als ihre Melkkühe begreift und bis zur Handlungsunfähigkeit finanziell auspresst. Und eine Senatspolitik, die sich endlich politische Lösungen einfallen lässt, die nicht nur Großinvestoren für neue Shopping-Malls oder Luxushotels anlocken will, welche sich am Ende als Subventionsoasen und Abschreibungsobjekte für ohnehin potente Geldgeber entpuppen.