Heulsuse schmäht Kasper

In der Play-off-Serie der Basketball-Liga NBA können die New York Knicks mit den Nachbarn aus New Jersey nur beim verbalen Schlagabtausch mithalten, sportlich führen die Nets schon mit 3:0

AUS NEW YORK SEBASTIAN MOLL

Als vor drei Jahren zum letzten Mal im Madison Square Garden NBA-Play-offs gespielt wurden, war Allan Houston einer der Hauptakteure. Zusammen mit Pat Ewing machte er in den legendär gewordenen Serien 1999 und 2000 Miami die Hölle heiß und in New York wähnte man sich kurz davor, erstmals seit 1973 die Meisterschaft zu gewinnen, verlor aber das Finale gegen San Antonio. Doch das war eine andere Zeit. Beim ersten Play-off-Spiel seit drei Jahren im Garden am Donnerstag saß der seit Monaten am Knie verletzte Houston auf der Bank – sicherlich einer der Hauptgründe, warum auch im dritten Spiel gegen die New Jersey Nets nicht viele New Yorker auf einen Sieg ihrer Mannschaft setzten.

Immerhin, nach zwei Abreibungen in New Jersey in der vergangenen Woche verloren die Knicks zu Hause nur mit 78:81. Nets-Star Jason Kidd kam erst in der zweiten Hälfte in Schwung, die Mannschaft von der anderen Seite des Hudson ließ im letzten Drittel einen 12:3-Lauf der Knicks zu und spielte mit 27 Turnovers „reichlich nachlässig“, wie Net Kerry Kittles im Anschluss zugab. Das Knicks-Trio Kurt Thomas, Nazr Mohammed sowie Stephon Marbury kombinierte und warf passabel. Doch die 19.000 waren nicht wirklich in der Hoffnung an die 34. Straße gekommen, die Knicks gewinnen zu sehen. Spannender war in New York vor diesem Spiel die Frage, ob es zwischen den Lokalrivalen Nets und Knicks zu der Rauferei kommen würde, die sich die Spieler gegenseitig angedroht hatten.

Im ersten Spiel der Serie war Tim Thomas vom Nets-Spieler Jason Collins so hart angegangen worden, dass er seither mit einer Rückenverletzung pausieren musste. Das Foul hatte Dikembe Mutombo, der erst Ende vergangenen Jahres von New Jersey über den Fluss nach New York gekommen war, zu der etwas dümmlichen Äußerung verleitet, dies sei nun ein Krieg, denn New Jersey habe einen New Yorker niedergeschossen. Jetzt sei es an den Knicks, einen der Nets niederzustrecken.

Das Kriegsgetrommel geriet Mutombo im zweiten Spiel zur Peinlichkeit. Er ließ sich auf ein paar Rangeleien mit dem als nicht zimperlich geltenden Kenyon Martin ein, den das so sehr kratzte wie eine Fliege einen Elefanten. Der 37 Jahre alte Mutombo war dem schnellen, starken und jungen Nets-Forward in jeder Hinsicht unterlegen, Martin warf 22 Punkte und machte sich darüber hinaus in Gestik und Mimik über die vorlauten, aber schwachen New Yorker lustig.

Doch die Knicks lernten nichts aus dieser Erfahrung. Im ersten Training nach dem Spiel trat der verletzte Tim Thomas vor die Presse und beschimpfte Kenyon Martin als einen Kasper, der sich gerne als harter Mann produziere, in Wirklichkeit jedoch ein „fugazy“ sei – ein Slangwort aus dem Mafia-Film „Donnie Brasco“ für einen Blender. Seine eigenen Mannschaftskameraden kritisierte Thomas dafür, dass sie das Foul an ihm nicht gerächt hätten. Als Hauptmotivation, wieder fit zu werden, nannte er „rausgehen, um jemanden umzuhauen“. Worauf Kenyon Martin am nächsten Tag zum Training in einem T-Shirt erschien, auf das die Sportseite des Boulevardblattes Daily News mit der Schlagzeile „Whiny Tim“, Heulsuse Tim, gedruckt war. „Irgendjemand sollte Don King anrufen und einen Termin ausmachen“, sagte Martin, bevor er ausgiebig über Thomas und dessen angeblich klägliche Karriere lästerte.

Angesichts solchen Getrommels fiel das Spiel im Garden vergleichsweise zivilisiert aus. Zwar wurde Shandon Anderson vom Publikum bejubelt, als er im zweiten Viertel Richard Jefferson übel foulte, und Jason Kidd wurde mit einer ähnlichen Aktion von Penny Hardaway von den Beinen geholt, doch ein Krieg, wie ihn Mutombo erklärt hatte, fand nicht statt.

Die Animositäten hatten sich anscheinend bereits im Vorgeplänkel erschöpft. Es waren von Seiten der Knicks ohnehin eher Ausbrüche eines ausgewachsenen Minderwertigkeitskomplexes: Sie haben so vieles, was die Nets gerne hätten – eine wundervolle Arena mitten in Manhattan, regelmäßig ausverkaufte Ränge bei Kartenpreisen zwischen 60 und 200 Dollar, ein Premium-Publikum mit einem Querschnitt der New Yorker Prominenz. Nur eines hat New York nicht mehr – eine Mannschaft, die es bis in das NBA-Finale schaffen kann. Dort waren die Nets in den vergangenen zwei Jahren, und wenn sie weiter so organisiert, harmonisch und effektiv spielen wie die meiste Zeit gegen New York, kann ihnen die Finalteilnahme auch ein drittes Mal in Folge gelingen. Die Knicks hingegen müssen in ihrem augenblicklichen Zustand froh sein, es überhaupt mal wieder bis in die Play-offs geschafft zu haben. Da hilft auch kein Zetern.