NORDKOREA KANN SEINE ABSCHOTTUNGSPOLITIK NICHT DURCHHALTEN
: Risse im System

Das nordkoreanische Regime lebt seit je von der Abschottung nach außen. Mit aller Macht versucht es bis heute, die Kontrolle über die Informationen zu behalten, die ins Ausland dringen: Nur eine winzige Elite hat Zugang zum Internet. Die wenigen ausländischen Besucher dürfen nur sehen, was genehm ist – ebenso wie die verarmte Bevölkerung des Landes nicht erfahren darf, wie es im Rest der Welt ausschaut. Die Geheimniskrämerei gilt auch für Aktivitäten des „lieben Führers“ Kim Jong Il und für Unglücksmeldungen. Nichts soll das – von der Kim-Dynastie und den Militärs, die in Nordkorea das Sagen haben, vorgespiegelte – Bild eines stabilen Landes unter einer weisen Führung, die stets über alle Untertanen wacht, stören. So übergingen die offiziellen Medien die jüngste Chinareise Kims und verschwiegen zunächst auch die Explosionskatastrophe am Bahnhof von Ryongchon.

Der Zeitpunkt des Unglücks, nur wenige Stunden nachdem Kims Sonderzug ebenjene Strecke auf dem Rückweg von Peking passiert hatte, hat im Ausland sofort zu Spekulationen über einen Attentatsversuch geführt. Was sich aber die Nordkoreaner denken, die per Flüsterpropaganda von der Reise und dem Drama gehört haben müssen, bleibt im Dunkeln.

Dennoch ist die Situation nicht mehr ganz so erstarrt wie noch in den 90er-Jahren. Die große Hungerkrise hat das Regime gezwungen, die Tore einen Spaltbreit zu öffnen. Eine Öffnung ist auch im Interesse Chinas. Der mächtige Nachbar, wichtigster Verbündeter des maroden Regimes, hat Kim gerade in die chinesische Hauptstadt zitiert, um ihn zu einer berechenbareren Politik zu überreden. Denn der bizarre Politiker ist für Peking zunehmend ein Sicherheitsrisiko. Und so dürfen chinesische Zeitungen mit ungewohnter Geschwindigkeit über das Unglück berichten. Wenige Stunden nach der Explosion flimmerten weltweit Bilder der Rauchwolken über die TV-Schirme. In Peking erklären Funktionäre des Internationalen Roten Kreuzes, sie seien von ihren nordkoreanischen Kollegen um Hilfe gebeten worden. Die Risse im abgeschotteten System werden größer. JUTTA LIETSCH