Wenn eine Grenze eigentlich keine sein soll

Falls Zyperns Wähler gegen die Vereinigung der Insel votieren, wird der Status der Demarkationslinie zum Problem

BRÜSSEL taz ■ Die Politiker sind mit ihrem Latein am Ende, heute haben die Wähler in beiden Teilen Zyperns das Wort. Am Mittwoch hatte Erweiterungskommissar Günter Verheugen im Europaparlament die Blockadehaltung der griechisch-zyprischen Regierung scharf kritisiert: „Wir hatten eine klare Absprache: Wir organisieren den Beitritt Zyperns – und sie werden dafür sorgen, dass eine Regelung nicht an den griechischen Zyprioten scheitert. Ich persönlich fühle mich durch die Regierung der Republik Zypern getäuscht.“

Während Verheugen versucht, in letzter Minute im Südteil der Insel einen Stimmungsumschwung zu erreichen, basteln hinter den Kulissen die Juristen mit Feuereifer am Plan B. Den Plan A gibt es schon lange: In der Schublade liegt ein Protokoll, das alle Vereinbarungen des Annan-Friedensplans auf EU-Bedingungen überträgt – für den Fall, dass auch der türkisch besetzte Norden in die Union kommt. Das Protokoll besteht aus einer langen Liste von Ausnahmeregeln und Übergangsfristen.

Plan B aber muss das Kunststück fertig bringen, die bei einer Ablehnung des UN-Friedensplans de facto entstehende neue Außengrenze der Union mitten auf der Insel Zypern juristisch als provisorische „Linie“ zu betrachten. Sollte das Referendum negativ ausgehen, wird der Rat eine Verordnung beschließen, in der Nordzypern so umschrieben wird: „Die Regionen der Republik Zypern, in denen die Regierung Zyperns keine Kontrolle ausüben kann.“

Die „Linie“ muss einerseits undurchlässig sein gegen illegale Einwanderung und ungetestete Lebensmittel. Sie muss sicherstellen, dass Waren aus Nicht-EU-Staaten zollrechtlich korrekt behandelt werden. Gleichzeitig soll den Menschen in Nordzypern kein Nachteil dadurch entstehen, dass ihre Nachbarn im Süden sie in der Union nicht haben wollen.

Seit einem Jahr gibt es bereits eine Regelung für kleinen Grenzverkehr zwischen beiden Teilen der Insel. Praktisch wird davon kaum Gebrauch gemacht. Die geplante EU-Verordnung betont, dass es „möglich ist, Kontrollen und Kosten auf ein Minimum zu beschränken“. Da allerdings an der innerzypriotischen Linie griechisch-zyprische Grenzbeamte das Sagen haben, hängt die Bewegungsfreiheit der Inseltürken doch wieder vom Goodwill der Politiker im Süden ab.

Gleichzeitig hat auch die EU ein Interesse daran, dass die „Linie“ kein Einfallstor für illegale Einwanderer aus der Türkei wird. Besonders brisant ist dabei, dass Zypern neben Malta das einzige neue Mitgliedsland ist, das vom Tag des Beitritts an uneingeschränkte Freizügigkeit genießt – der Zuzug von Arbeitskräften aus den acht anderen neuen Mitgliedsländern kann noch jahrelang verhindert werden.

Etikettenschwindler jeder Art könnten sich ermutigt fühlen, Nordzypern zu einem Umschlagplatz für Waren zu machen, gegen die die Union Zölle verhängt hat oder die gar nicht erwünscht sind. Es genügt theoretisch, die entsprechenden Produkte mit einer neuen Aufschrift zu versehen: „Hergestellt in den Regionen der Republik Zypern, in denen die Regierung Zyperns keine Kontrolle ausüben kann.“

Der juristische Eiertanz ist mit Plan B längst nicht zu Ende. Die Kommission möchte die Türkei gern für ihre Kooperationsbereitschaft bei den Zypern-Verhandlungen belohnen. Sie wird im Dezember voraussichtlich empfehlen, Beitrittsverhandlungen mit Ankara zu beginnen. Gleichzeitig kann sie nicht an der Tatsache vorbeisehen, dass Nordzypern aus EU-Perspektive ein besetztes Gebiet ist. „Besatzerstaaten aber erfüllen die rechtsstaatlichen Mindeststandards nicht“, und damit sind Beitrittsverhandlungen mit ihnen eigentlich ausgeschlossen.

DANIELA WEINGÄRTNER