Nordkorea lässt Hilfe zu

Die Regierung in Pjöngjang räumt schweres Explosionsunglück vom Vortag ein und bittet offiziell um internationale Hilfe. Britischer Botschafter in Pjöngjang spricht von mehreren hundert Toten

VON SVEN HANSEN

Nordkorea hat gestern sein Schweigen über das schwere Explosionsunglück vom Vortag in der nordwestlichen Stadt Ryongchon gebrochen und offiziell die UNO um internationale Hilfe ersucht. Die Regierung nannte auch erste Opferzahlen. Demnach starben bei der Explosion zweier Züge mindestens 54 Personen, 1.249 wurden verletzt. 1.850 Haushalte wurden zerstört und 6.350 Wohnungen beschädigt, teilte ein Sprecher des Internationalen Roten Kreuzes in Peking unter Berufung auf nordkoreanische Angaben mit. „Es herrsche enormes Chaos vor Ort“, so der Sprecher.

Der britische Botschafter in Pjöngjang sprach gestern laut Außenministerium in London von mehreren hundert Toten und mehreren tausend Verletzten. Dabei berief er sich auf Schätzungen nordkoreanischer Stellen. Bereits am Vortag hatten südkoreanische Medien von bis zu 3.000 Toten gesprochen. Auch einen Tag nach dem Unglück war das Feuer nach BBC-Berichten noch nicht gelöscht. Satellitenbilder zeigten riesige Rauchwolken über Ryongchon.

Nach dem Hilfeersuchen der nordkoreanischen Regierung reist heute ein 10- bis 20-köpfiges Expertenteam der Vereinten Nationen, des Roten Kreuzes und von Hilfsorganisationen und Diplomaten zum Unfallort. Auch China wurde um Hilfe gebeten. Krankenhäuser in Chinas grenznaher Stadt Dandong bereiteten sich auf die Versorgung Verletzter vor.

Nordkoreas Medien verschwiegen ihren Bürgern noch gestern die Katastrophe. Sie wurde durch den Kontakt zweier mit Sprengstoff beladener Eisenbahnwaggons mit elektrischen Leitungen ausgelöst, sagte ein UN-Vertreter in Peking unter Berufung auf die nordkoreanische Führung. Auch die russische Nachrichtenagentur ITAR-TASS machte unter Berufung auf Nordkoreas Außenministerium Sprengstoff als Auslöser für das Unglück verantwortlich.

Der Unglücksort Ryongchon, der in Südkorea auf bis zu 120.000 Einwohner geschätzt wird, liegt an der Strecke zwischen der Hauptstadt Pjöngjang und der chinesischen Grenze. Sie ist eine der wichtigsten Verbindungen des isolierten Landes mit dem Ausland. Laut Berichten aus dem chinesischen Dandong wurden Züge in Richtung Pjöngjang gestern aber planmäßig abgefertigt. Dies lässt vermuten, dass sich das Unglück auf einem Nebengleis ereignete.

Unklar ist, ob es einen Zusammenhang zwischen der Katastrophe und der Chinareise von Nordkoreas Machthaber Kim Jong Il gibt. Die wurde in Nordkorea erst nach ihrem Ende bekannt gegeben, was etwa zeitgleich mit dem Unglück geschah. Kim hatte neun Stunden davor, in einem gepanzerten Waggon aus Peking kommend, Ryongchon passiert. Sein Sonderzug dürfte den regulären Fahrplan durcheinander und Eisenbahnmitarbeiter aus ihrer Routine gebracht haben.

Spekulationen, die Katastrophe sei womöglich ein Attentatsversuch auf Kim gewesen, bezeichnete der britische Nordkoreaexperte Aidan Foster-Carter gegenüber der taz als abwegig. Dann wäre die Explosion zeitlich näher an Kims Aufenthalt in Ryongchon erfolgt und hätte wohl nicht so viele Opfer gefordert.

Die Koordinatorin der Nordkoreahilfe der Caritas, Kathi Zellweger, sagte der taz telefonisch aus Hongkong, Pjöngjangs Hilfeersuchen sei für nordkoreanische Verhältnisse „recht früh“ erfolgt. Sie führt dies auf das gewachsene Vertrauen zu Hilfsorganisationen zurück. In Ryongchon gab es bereits 1994/95 Überschwemmungen, nach denen erstmals ausländische Organisationen Nothilfe leisteten. Die Situation in Nordkoreas Krankenhäusern, die jetzt die durch die Explosion Verletzten versorgen müssten, sei „katastrophal“. Zellweger: „Ich weiß nicht, wie die Spitäler mit so einer Katastrophe fertig werden sollen.“

Foster-Carter sieht in dem Unglück auch eine Chance, das Verhältnis zwischen Nordkorea und der internationalen Gemeinschaft zu verbessern.

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