Die verzwickte Standortfrage

Lange hat die Idee einer nationalen Gedenkstätte das Verhältnis zwischen Polen und Deutschen belastet. Zuletzt war ein europäisches Zentrum im Gespräch – doch völlig ungewiss, wo es stehen soll

In der Debatte um die Erinnerung an Flucht, Vertreibung und Völkermord hat die Staatsministerin für Kultur, Christina Weiss, schon immer nach einer europäischen Lösung gesucht. Im Herbst vergangenen Jahres, da war der Streit um ein vom Bund der Vertriebenen (BdV) in Berlin geplantes „Zentrum gegen Vertreibung“ längst eskaliert, plädierte Weiss erstmals für ein dezentrales Netzwerk der europäischen Erinnerung. „Die Chance der Versöhnung mit dem Osten ist gegeben, wenn es gelingt, mit unseren Nachbarn gemeinsam die Lücken in der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu schließen, wenn es möglich wird, nach der Öffnung der Archive die gemeinsame Forschung voranzubringen.“

Worauf Weiss setzte, war eine Intensivierung der Forschung, wie sie zuvor schon von deutschen und polnischen Historikern vorangetrieben worden war. Diese von der Öffentlichkeit nur selten wahrgenommene Zusammenarbeit war seit dem Ausbruch des Streits um das Vertriebenenzentrum im Jahr 2000 in den Hintergrund gedrängt worden. Namentlich in Polen waren die Forderungen der BdV-Chefin Erika Steinbach nach einem Zentrum in Berlin als „Hervorhebung deutscher Opfer“ und „Relativierung deutscher Kriegsschuld“ kritisiert wurden. Das deutsch-polnische Verhältnis, das bis dahin als Erfolgsgeschichte galt, war plötzlich in die Krise geraten.

Daran änderte sich auch nichts, als sich im Sommer vergangenen Jahres Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Außenminister Joschka Fischer (Grüne) gegen eine „nationale Vertriebenen-Gedenkstätte in Berlin“ ausgesprochen hatten. Schließlich gab es ebenso viele Politiker, die Steinbachs Vorhaben unterstützen, darunter Peter Glotz (SPD), CDU-Chefin Angela Merkel oder Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU).

Gleichwohl gab es immer auch Versuche, sich dem Thema Vertreibung im europäischen Kontext zu nähern. So plädierten etwa polnische und deutsche Intellektuelle, die sich zur Kopernikusgruppe zusammengeschlossen haben, für ein europäisches Zentrum gegen Vertreibung in Breslau.

Der Grund: Nach der Vertreibung der Deutschen aus Breslau waren nach dem Krieg überwiegend Vertriebene aus Ostpolen in die Stadt gekommen, die nun Wrocław hieß. Als weitere Standorte waren auch das ukrainische Lemberg oder das bosnische Sarajevo im Gespräch. Auch der Literaturnobelpreisträger Günter Grass hatte sich für eine europäische Lösung stark gemacht und als mögliche Orte Frankfurt (Oder) oder Görlitz an der deutsch-polnischen Grenze ins Spiel gebracht.

Dass sich Deutschland, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Österreich nun auf die Netzwerklösung verständigt haben, ist auch der Tatsache geschuldet, das jede Festlegung auf einen Ort neue Debatten und Konflikte hervorgerufen hätte. Eine vernetzte Zusammenarbeit von Forschung und Erinnerung dagegen ermöglicht es, vielerlei Schwerpunkte zu setzen und Perspektiven einzunehmen. UWE RADA