Unfruchtbarer Samen

Verfahren gegen Junge Liberale wegen Hanf-Aktion auf dem Gänsemarkt nach einem dreiviertel Jahr eingestellt. Ermittler mussten erst eine mögliche Aufzucht von Cannabis abwarten

von PETER AHRENS

Vogelsang fragte plötzlich: „Was hältst du von der Idee, dir eine halbe Million zu verdienen?“ „Wie denn?“ „Cannabis sativa“, flüsterte Dowst, als gäbe er einen der geheimen Namen Gottes preis, „wir werden 2000 Stauden anbauen.“ „Ich hab aber keine Ahnung vom Marihuana-Anbau“, sagte ich schließlich. Darauf war Vogelsang vorbereitet: „Brauchst du auch nicht“, sagte er und erhob sich. (T.C. Boyle, Grün ist die Hoffnung)

Jan Erik Spangenberg hat auch keine Ahnung vom Marihuana-Anbau. Als Landeschef der Jungen Liberalen kämpft er gemeinhin artig für längere Ladenöffnungszeiten, den Transrapid und das Abitur nach zwölf Jahren – und ab und an für die Entkriminalisierung weicher Drogen, und genau das hat ihn und seinen Stellvertreter Stephan von Hundelshausen ins Räderwerk staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen geraten lassen. Corpus delicti des Verfahrens: Eine Tüte Vogelfutter der Marke „Aron – Alleinfutter für Kanarienvögel. Kerngesunde Saatenauslese“ aus der Kleintierabteilung bei Karstadt.

Eine solche Tüte hatten sich die Jungen Liberalen für eine öffentlichkeitswirksame Aktion im Bundestagswahlkampf des Vorjahres besorgt. Auf dem Gänsemarkt verteilen die Julis an einem Stand mit der Aufschrift „Coffee-Shop“ den Futtersamen an PassantInnen. Dazu gibt‘s vorsichtshalber Zettelchen, auf denen ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass „dieser Samen aus einer Zoohandlung stammt und keine berauschende Wirkung erzeugt“. Am Stand tauchen auch irgendwann zwei Polizisten auf: Nachdem die Julis ihnen den Hintergrund der Aktion erklärt haben, ziehen sie mit dem Info-Material in der Hand wieder ab und sehen keinen Grund einzuschreiten. Da hat der FDP-Nachwuchs die Rechnung aber ohne Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger gemacht. Dem fällt der Auflauf auf dem Gänsemarkt auch auf, und er setzt den Staatsapparat in Gang.

Das Landeskriminalamt nimmt sich des Falles an. Noch am Tag der Aktion wird eine Strafanzeige verfasst. Spangenberg und Hundelshausen werden beschuldigt, „Gelegenheit zum Betäubungsmittel-Verbrauch, -Erwerb oder -Abgabe verschafft oder gewährt“ zu haben.

Und so etwas muss gründlich untersucht werden. Also wird die laut Akte sichergestellte „Kunststofftüte, in der sich acht graugrüne z. T. dunkel gesprengte, eiförmige, rd. 5 mm lange Samenkörner befanden“, den LKA-ExpertInnen zur kriminaltechnischen Untersuchung vorgelegt mit dem Befund vom 30. 8. 2002: Bei den Samen, so ergab der Vergleich mit der hiesigen umfangreichen Samensammlung, die sich im Lauf jahrelanger Emittlungen beim LKA so anhäuft, handele es sich tatsächlich um Cannabis sativa (Hanf). Dies haben die JuLis aber nie geleugnet. Es wird weiter geforscht. Ein Gutachter wird bestellt, der aber nicht feststellen kann, ob die Samen tatsächlich keimungsfähig sind. Der Fachmann gibt die Empfehlung, dass dies und ein möglicher THC-Gehalt der Samen nur durch eine „Auswachsung“ festgestellt werden kann.

Die Wahrheit muss ans Licht. Dafür nehmen die unermüdlichen ErmittlerInnen auch Zeit und Aufwand in Kauf. Also werden die Samen vorschriftsmäßig in Topferde eingebracht und abgewartet, ob sich daraus irgendwann eine prächtige Hanfpflanze erhebt. Vogelfutter bleibt jedoch Vogelfutter, auch wenn die Staatsanwaltschaft noch so sehr die Daumen drückt und die Samen einmal wöchentlich liebevoll mit der Gießkanne wässern lässt.

Ein dreiviertel Jahr später blüht immer noch keine Cannabiszucht unter dem Dach des Landeskriminalamtes, also muss die Staatsanwaltschaft Spangenbergs Anwalt, dem FDP-Bürgerschaftsabgeordneten Leif Schrader, kurz und bündig mitteilen: „Das Verfahren ist mit Verfügung vom 26. Mai 2003 gemäß § 170 II der Strafprozessordnung eingestellt worden.“