Zu viel Brandy

Eine Diva: Alison Moyet sorgte im Soultrane mit dreckigen Witzen und alten Hits für einen vergnüglichen Abend

Zunächst einmal muss an dieser Stelle dringend dafür plädiert werden, dass das Soultrane zumacht, dass nie wieder auch nur ein einigermaßen interessanter Musiker dort auftritt, dass die Besitzer wechseln oder zumindest der radikalste Imageberater dieser Stadt ranmuss. Kaum hat man die sterilen Räumlichkeiten betreten, wird man schon gefragt, ob man einen Sitzplatz reserviert hat, was natürlich nicht der Fall ist: Man will ja schließlich ein Konzert sehen und nicht blöd rumsitzen und essen und trinken und nebenher irgendeiner Musik zuhören. Wenn man also nicht sitzt, soll man sich in eine der zwei Stehzonen begeben, die hinter den Sitzzonen liegen und durch freizuhaltende Fluchtwege getrennt sind. Massive Ordner, die die Körperhaltung von korpulenten Bestattungsunternehmern demonstrieren, passen permanent auf, dass man die unsichtbaren Grenzen dieser Zonen nicht übertritt.

Trotz aller Befürchtungen, mal wieder einem peinlichen Nostalgiebedürnis nachgegangen zu sein, kann es also gar nicht schlimmer werden, es muss wie eine Erlösung wirken, als Alison Moyet endlich die Bühne betritt. Was für eine Diva! Nicht dünner ist sie im letzten Jahrzehnt, in dem man kaum mehr von ihr hörte, geworden, sondern dicker. Viel dicker. Und trotzdem supersinnlich, auch wegen der noch volleren Stimme. Und wie ein junges Mädchen sieht sie aus, wie eine, die absolut vergnügt ist, völlig zufrieden, früher 20 Millionen Platten verkauft zu haben und heute nur noch zwei- oder dreihundert – allerdings sehr begeisterungsfähige – Fans ins Soultrane zu ziehen. Endlich vorbei, dieser Scheißtrubel, und die Kasse stimmt auch bis zum Lebensende. Man stellt sie sich so vor: Irgendwo in der britischen Provinz ein Haus mit Rosengarten, morgens ausschlafen, einen Haufen Katzen aus dem Bett schütteln, zum Frühstück mit links die Kippe, mit rechts die Spiegeleier wenden und dann ins viel zu kleine Auto quetschen und erstmal shoppen fahren.

Es ist ein schöner Abend im Soultrane, den Alison Moyet da bestreitet. Die Songs ihres neuen Albums sind raffiniert, ein bisschen Pop und Blues, ein bisschen Chill und Chanson, aber wollen keine Hits sein. Viele ihrer alten, großen Chartbreaker hat sie keine Lust zu singen, „Is This Love?“ fehlt ebenso wie „Weak In The Presence Of Beauty“.

Die schönsten und nicht nur nostalgischen Momente des Abends sind dennoch die, als Alison Moyet alte und nicht nur bekannte Lieder ihrer Band Yazoo singt, dieser Band, die Anfang der Achtziger nur ein ganzes Jahr lang existierte, aber für New Wave sehr wichtig war. In einer Zeit, als Pop ein spirreliges, unterkühltes Frauenideal vorsah, Sängerinnen wie Annie Lennox, Claudia Brücken von Propaganda oder Desireless, war die runde Alison Moyet eine Exotin. Nicht nur, dass sie der avantgardistischen, reduzierten Musik Vince Clarkes, der bei Depeche Mode aufgehört hatte und danach mit Erasure weitermachen sollte, Soul hinzufügte, sie entsprach auch nicht dem Bild der passiven Frontsängerin, schrieb jedes zweite Lied von Yazoo selbst.

Immer wieder macht Alison Moyet im Soultrane zwischen den Liedern dreckige Witze, erzählt vom Brandy, von dem sie zu viel hatte vor der Show, fängt noch mal von vorne an, weil sie den Text vergessen hat, schmeißt ein Lied gleich ganz aus dem Programm, weil sie den Einsatz zweimal verpasst. Und ganz am Ende, die letzte, verausgabende Krönung: Der alte Yazoo-Diskoheuler „Don’t Go“. Damit führt Alison Moyet endgültig jeden eventuellen Vorwurf, sie könnte zu schwer, zu hochkulturell geworden sein, schwungvoll ad absurdum. SUSANNE MESSMER