Schnell fertig schrauben

Heute eröffnet eine neue Kiepert-Buchhandlung. Ursula und Regine Kiepert schwebt eine klassische Sortimentsbuchhandlung vor, ein Ausgleich für den Verlust der alten Buchhandlung

von JÖRG SUNDERMEIER

Die beiden Frauen sind mutig. Die Buchhändlerinnen Ursula und Regine Kiepert wagen einen Neuanfang – und das in diesen Zeiten. Dabei sind die Aussichten auf dem Berliner Buchmarkt alles andere als rosig, in den letzten zwei Jahren mussten über dreißig Buchhandlungen aufgeben, und selbst die Großfilialisten, die in den letzten Jahren mit aller Macht auf den Berliner Markt drängten, sind inzwischen mehr als ernüchtert. In Berlin ist der Buchmarkt seit langem übersättigt, zum einen, weil in den letzten Jahren einige sehr große Häuser neu eröffnet wurden, zum anderen, weil die wohlhabendere bürgerliche Kundschaft zu einem nicht geringen Teil ins Umland gezogen ist.

Nichtsdestotrotz eröffnen die beiden Frauen am heutigen Samstag ihre Buchhandlung U&R Kiepert an der Hardenbergstraße. Der Plan dazu entstand ganz spontan, sagt Ursula Kiepert. Sie möchte gern – ohne Rücksicht auf ihr Alter – noch einmal ein Risiko eingehen. Es ist ihr eine Herzenssache.

Zwar betreibt die 77-Jährige erfolgreich einen Fachbuchversand, ihre Tochter Regine besitzt die Fachbuchhandlung Schropp, doch es geht beiden nicht zuletzt darum, den Namen Kiepert zu erhalten – wenngleich die neue Buchhandlung nicht einfach als Fortführung der alten, traditionsreichen Buchhandlung Kiepert verstanden werden kann.

Diese musste trotz ihrer zahlreichen Filialen und ihres auch überregional bekannten Stammhauses im vergangenen Sommer Insolvenz anmelden – den Insolvenzverwaltern gelang es nicht, das Stammhaus und die Filialen zu retten. Robert Kiepert, dem Vater von Regine Kiepert, verblieben von dem Unternehmen mit einem Gesamtjahresumsatz von einst 78 Millionen Mark und über 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lediglich eine Buchhandlung in Frankfurt (Oder) und eine ehemalige Kiepert-Filiale an der Humboldt-Universität.

Auf der Suche nach neuen Büroräumen für den Fachbuchversand entdeckte Ursula Kiepert die leer stehenden Räume an der Hardenbergstraße, gegenüber der TU-Mensa und unweit des einstigen Stammhauses. Und beim Anblick der einst weitläufigen großbürgerlichen Wohnung mit ihren Salons kam Ursula und Regine Kiepert die Idee, es doch noch einmal mit einer klassischen Sortimentsbuchhandlung in Charlottenburg zu versuchen. „Hätte ich das auf der Leipziger Buchmesse schon geahnt, ich hätte ganz anders mit den Verlagen gesprochen“, berichtet Regine Kiepert. Andererseits diene ihr diese Buchhandlung selbstverständlich als seelischer Ausgleich für den Verlust, den die alte Kiepert-Buchhandlung bedeutet.

Mit dem einstigen Kiepert-Stammhaus ist U&R Kiepert allerdings nicht zu vergleichen. Die neue Buchhandlung hat eine Verkaufsfläche von rund 200 qm und wird sich vor allem auf geisteswissenschaftliche Literatur, Sprachlehrbücher und ein umfangreiches belletristisches Taschenbuchsortiment konzentrieren. „Wir haben hier ein Low-Budget-Konzept“, erklärt Regine Kiepert. Ihre Mutter finanziert den Großteil aus ihren Rücklagen. Die Regale und andere Ausstattungsgegenstände im Verkaufsraum sind aus alten Beständen übernommen worden, die Miete sei akzeptabel, die zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten auf Teilzeitbasis und mit befristeten Verträgen.

Ihrem unternehmerischen Mut und der Familientradition entsprechend gehen die beiden Frauen mit großer Energie vor. Erst im Mai konnten sie mit den Umbauarbeiten im Laden beginnen – noch am Donnerstag waren die Regale nicht bestückt, funktionierten die Telefone nicht. Der Familientradition gemäß arbeitet auch Robert Kiepert, der später vom hinteren Teil der Räume aus die ihm verbliebenen Buchhandlungen verwalten wird, bei der Einrichtung des neuen Buchladens mit, sägt hier und schraubt da. „Wir haben noch zwei Tage und zwei Nächte“, sagt Ursula Kiepert gut gelaunt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, alle ehemalige Kiepert-Angestellte, helfen auch, den Eröffnungstermin zu halten.

Es wird eine schöne Buchhandlung werden. Bei der Eröffnung heute Abend hält man sich jedoch nicht zurück und hat mit André Kubiczek, Elke Schmitter, Jens Sparschuh und Sten Nadolny vier renommierte Autoren für sich gewinnen können. Ob und wie es dann mit einem Leseprogramm weitergeht, entscheidet die Zukunft, das ist eine Kostenfrage. „Reizen würde es mich schon“, meint Regine Kiepert.

U&R Kiepert, Hardenbergstraße 9 a, Eröffnung heute um 10 Uhr, Leseprogramm ab 18 Uhr