Der Staat bei dir zu Hause

Panik und Beschwichtigung: Was darf und kann die Onlinedurchsuchung wirklich?

Seit Kurzem ist sie also durch – die Onlinedurchsuchung, das Lieblingsvorhaben von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Ein paar Änderungen an der Novelle des BKA-Gesetzes haben ausgereicht, den Widerstand der SPD-geführten Länder dahinschwinden zu lassen. So müssen die Ermittler nun auch in Eilfällen erst die Erlaubnis eines Richters einholen, bevor sie sich in private Rechner einhacken dürfen. Außerdem wacht der Datenschutzbeauftragte des Bundeskriminalamts darüber, ob möglicherweise Daten eingesammelt wurden, die den unverletzlichen Kernbereich der Privatsphäre betreffen. Was das genau ist, will das BKA allerdings nicht bekannt geben. Im Zweifelsfall entscheidet ein Richter dann, was mit den Daten geschieht.

Zwar gibt sich die Opposition damit zufrieden. Der prinzipielle Einwand von Datenschützern und Bürgerrechtlern jedoch bleibt: Rechtfertigt der Kampf gegen den Terrorismus einen derartig massiven Eingriff in meine Privatsphäre? Nein, aber der Einwand der Bürgerrechtler geht an der Sache vorbei, argumentieren der Netzpublizist Burkhard Schröder und die Rechtswissenschaftlerin Claudia Schröder in ihrer knapp hundertachtzig Seiten starken Studie.

Deren Fazit: Die sogenannte Onlinedurchsuchung ist nicht viel mehr als ein aufgeblasener Medienhype und ein zahnloser Papiertiger obendrein. Mit diesem Instrument lässt sich zwar jede Menge rechtspolitischer Flurschaden an-, aber wenig Effektives gegen den internationalen Terrorismus ausrichten. Dabei liegt der Skandal für die beiden Autoren weniger in der zweifelhaften Technik, als in den Fehlinformationen, die darüber verbreitet werden.

Denn, so die überraschende Ausgangsthese des Buchs: So etwas wie eine „Onlinedurchsuchung“ gibt es überhaupt nicht, jedenfalls nicht als funktionierendes Instrument in Händen der Ermittlungsbehörden. Die Vorstellung, Polizei und Geheimdienste könnten sich heimlich in jeden PC hacken, und zwar ohne dafür die Wohnung des Betroffenen betreten zu müssen, kann demnach getrost ins Reich der Märchen verwiesen werden – zu hoch sind die technischen Hürden, die dafür überwunden werden müssten. Selbst Laien könnten sich mit einfachsten Mitteln erfolgreich gegen Spitzelprogramme dieser Art wehren; einmal abgesehen davon, dass bislang noch keine Behörde überzeugend dargestellt habe, wie ein solcher staatlich sanktionierter Hackerangriff in der Praxis überhaupt aussehen könnte.

Was den Glauben an den „Bundestrojaner“ am Leben erhalte, sei nichts anderes als Ignoranz in Sachen Computertechnik und der Mythos von der Allmacht des „Hackers“. Die etablierten Medien hätten allesamt in der Berichterstattung über die Onlinedurchsuchung regelmäßig versagt, so die Kritik der Autoren. Praktisch durchgehend sei nach dem System „Stille Post“ verfahren worden: Einer schreibt vom anderen ab, und am Ende bestätigen sich Halb- oder Unwahrheiten von selbst. Schröder belegt diese These mit umfangreichem Quellenmaterial und Fußnoten. Das macht die Lektüre des Buchs nicht elegant, war aber in diesem Fall wohl unvermeidlich – schließlich will, wer solch einen Vorwurf äußert, am Ende nicht selbst bezichtigt werden, unsauber recherchiert zu haben. Das Hauptargument des Buchs: Einen privaten Rechner zu knacken, ist technisch um ein Vielfaches anspruchsvoller, als etwa einen Webserver. Ein Terrorist müsste sich lediglich an die allgemein zugänglichen Ratschläge des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) halten, um sein System vor Angriffen wirksam zu schützen. Schröder weist überzeugend nach, dass es entgegen anderslautenden Berichten bis jetzt keinen einzigen erfolgreichen Einsatz eines „Bundestrojaners“ gegeben hat. Es ist das Verdienst von Schröder, mit diesem Buch (ebenso wie in seinem Weblog und seinen Beiträgen für das Onlinemagazin Telepolis) auf die zahlreichen Ungereimtheiten und Falschmeldungen hinzuweisen, die die Diskussion über das Für und Wider einer „Onlinedurchsuchung“ beherrschen.

Unbefriedigend in seiner Argumentation bleibt freilich, neben dem eigenwilligen Schreibstil des Autors, dass er seinen Befund nicht in den Kontext einer politischen Frage stellt: Was muss man den verantwortlichen Politikern in diesem Fall unterstellen: Unwissenheit oder List? Dient die Diskussion über „Remote Forensic Software“ unter Umständen dazu, von anderem abzulenken? Und inwiefern kann die Debatte als symptomatisch gelesen werden für die Sicherheitsdebatte überhaupt, in der der Begriff des „Möglichen“ stets in einem bedenklich diffusen Raum zwischen rechtlicher Erlaubnis einerseits, technischer Machbarkeit andererseits schwankt.

Zu guter Letzt solle ein positiver Effekt der Debatte nicht vergessen werden: Kaum ein Vorhaben des Innenministers hat die Bevölkerung in Datenschutzfragen stärker sensibilisiert und mobilisiert als der „Bundestrojaner“.

DIETMAR KAMMERER

Burkhard und Claudia Schröder: „Die Online-Durchsuchung. Rechtliche Grundlagen, Technik, Medienecho“. dpunkt, Heidelberg 2008, 190 Seiten, 16 Euro