Entspannende Koexistenz

Sitzen Sie bequem? Damit Radfahren nicht zu einer schmerzlichen Angelegenheit wird, muss die Rahmengeometrie stimmen und der Sattel passen. Gewisse Positionen sollte man sich verkneifen

von HELMUT DACHALE

Was für ein Jammer: Das neue Fahrrad, auf dem man sich bei der Probefahrt noch so ausgesprochen wohl gefühlt hat, entpuppt sich bald als Foltergerät. Hintern und Rücken leiden. Und dabei hat sich die Käuferin doch für eine überaus moderne Kreation entschieden, ein so genanntes City-Bike, auf dem sie aufrecht thronen kann. Eine Haltung, zu der ja auch die „Aktion Gesunder Rücken“ (AGR) rät.

„Wer so etwas sagt, hat auf Fahrrädern überhaupt keine Erfahrungen gesammelt“, meint hingegen Juliane Neuß, Fahrradkonstrukteurin. Ihre derzeitige Botschaft vieler Vorträge heißt: „Richtig sitzen!“ Darunter versteht sie eine „sinnvolle Druck- und Lastverteilung“ auf die drei Stellen, an denen Mensch und Maschine zueinander finden: Lenker, Sattel, Pedale. „Vor allem ist wichtig, dass ausreichend Last auch von Armen und Schultern aufgenommen und nicht nur der Sattel belastet wird.“

Doch gerade auf einem City-Bike – sofern es einen hohen Lenker hat – „lastet das Körpergewicht im höchsten Maße auf dem Sattel“, hat Juliane Neuß festgestellt. Nur zu fünf Prozent auf dem Lenker. Die fast waagerecht gestreckten Arme seien in Schulterhöhe fixiert, die Bandscheiben hätten (beim ungefederten Modell) alle Fahrbahnstöße ungefiltert zu ertragen. Um diese Nachteile auszugleichen, tendiere man zur „Beckenaufrichtung“ – der häufigsten Reaktion auf unpassende Rahmengeometrie und falschen Sattel. Beckenaufrichtung? Ein Fachbegriff, der in die Irre führt. In Wirklichkeit wird bei dieser Übung das Becken nach hinten gekippt. Überdehnung der langen Rückenmuskelstränge und einseitige Belastung der Bandscheiben können die üblen Folgen sein – gerade beim untrainierten Rücken.

Wie also sitzt man am besten? Neuß’ Favorit: die Reiserad-Position. Eine Haltung, die indes auch auf vielen anderen Radtypen möglich und entspannend sei. Charakteristisch dabei: Der Oberkörper nimmt eine 45-Grad-Haltung ein, die Wirbelsäule behält ihre S-Form, rund 20 Prozent des Körpergewichts ruhen auf dem Lenker.

Auch mit Hollandrad-Position sympathisiert die Fahrrad-Fachfrau – sofern es sich wirklich um ein Modell mit dem typischerweise gar nicht so hohen Lenker handelt, der sehr nah an den Körper herankommt. So sitze man noch aufrecht, aber doch schon mit leicht geneigtem Rücken und verfüge über natürliche Balance. Allerdings müssten Fahrbahnstöße schon weit gehend über die Bandscheiben abgefedert werden. Und das Rasen kann man auch vergessen. Auf einem Hollandrad gleitet man.

Überraschenderweise verdammt Juliane Neuß keinesfalls die vierte der Grundpositionen: die Rennradhaltung. Für sie ist es die sportlichste, die „für eine hohe Kraftentfaltung“ sorge. Doch die leidige Beckenaufrichtung sei auf einem Rennflitzer ebenso wie der gewölbte Rücken nicht zu vermeiden. Da hilft nur eins: ordentliche Muckis in Schultern, Armen und im Rumpfbereich.

Und der Sattel? Für die meisten Fahrradkäufer ist er der Verursacher ihrer Sitzbeschwerden, nur wenige indes geben ihm Mitschuld an den Rückenproblemen. Aber selbstverständlich sei dieser Zusammenhang gegeben, erklärt Juliane Neuß – Patentrezepte für Form und Material sind ihr jedoch kaum zu entlocken. Luftsättel? Allenfalls „eine nette Idee“. Ledersättel? 99 Prozent aller Rad fahrenden Frauen hätten Schwierigkeiten mit den Ledersätteln auf Reiserädern. Von Gelsätteln der neueren Produktion hält sie schon mehr. Aber unbedingt müsse jeder Sattel auf die Sitzposition und auf den individuellen Hintern abgestimmt sein: „Sättel sind in der Regel nicht übertragbar, weder von Person zu Person noch von Rad zu Rad.“

Wer sich ein neues Fahrrad zulegt, sollte mehrere Sättel ausgiebig ausprobieren. Und keinesfalls dem trauen, der vom Fahrradhersteller mitgeliefert wird. „Sättel auf Neurädern sind nur da, damit es in die Sattelstütze nicht reinregnet.“