Rache, nicht Strafe

Die „Hyänen“, die Schiller in der „Glocke“ beschreibt, die bösen Rächerinnen, die aus Eifersucht und verletztem Stolz aufschreien und morden, die gibt es eigentlich nur in der griechischen Mythologie. Medea, Althaia, Prokne oder gar die Furien, die als eine Art professionelle Rächertruppe auftraten, waren starke Frauengestalten, die man besser nicht gegen sich aufbringt.

Im Volksmärchen dagegen treten die Täterinnen eher als Typus der bösen Stiefmutter auf („Schneewittchen“, „Hänsel und Gretel“), die berechnend im Hintergrund sitzt und auf den richtigen Moment wartet. Ihre Heiratschancen will sie verbessern oder ihre finanzielle Situation, das ist Motiv genug, dafür wird die Frau im Märchen zur Täterin.

Im Sturm und Drang verändert sich der Topos der Täterin ein weiteres Mal, die Literatur zeigt sie nun als Opfer der männlichen Sexualität. Zwischen 1773 und 1782 erfreut sich das Motiv der Kindsmörderin eines großen Interesses. Goethe, Schiller, Wagner, Bürger, Schink u. a. widmen ihr mehrere Arbeiten: Das um die versprochene Ehe betrogene Mädchen entdeckt seine Schwangerschaft und weiß sich nicht anders zu helfen als durch den Mord am Kind. Bemerkenswert dabei: Die Texte basierten auf zeitgenössischen Gerichtsfällen, wie dem der Susanna Brandt, die das Gretchen-Motiv im „Faust“ und Wagners „Kindsmörderin“ inspirierte. Das Strafmaß berücksichtigte damals nicht, ob die unerwünschten Kinder auf Vergewaltigungen oder gebrochene Eheversprechen zurückzuführen waren. Das Todesurteil der Kindsmörderin war unausweichlich und wurde wahlweise durch Ertränken, Lebendigbegraben oder Zerreißen mit glühenden Zangen vollstreckt. Vielen schien das Gesetz, das auf das Jahr 1532 zurückging, als ungerecht, die Häufung der Texte gegen Ende des 18. Jahrhunderts lässt sich also als beginnende Sozialkritik verstehen.

Auch Gesche Gottfried, die 1831 als Deutschlands bekannteste Giftmischerin in Bremen hingerichtet wurde, wurde zur literarischen Vorlage: Nicht weniger als acht Autoren, darunter Adalbert von Chamisso, schrieben ihr Leben nieder. Während also die Literatur vor mordenden Männern strotzt, brauchten weibliche Rächerinnen eine reale Vorlage, die beweist: Das hat es wirklich gegeben. Oder die reale Person, die Frau, die nicht erträgt, sondern aktiv zur Tat schreitet, übte eine derart starke Faszination aus, dass sie sofort Literatur wurde. ALA

Die weibliche Sehnsucht nach Rache hatte schon immer viele Facetten – und ihre Umsetzung wurde stets goutiert, wenn sich eine Frau „zu Recht“ wehrte. Doch dieses Bild wandelt sich: Längst gibt es auch die gewöhnliche Verbrecherin

VON NATALIE TENBERG

Sweet is revenge – especially to women. Lord Byron (1788–1824): „Don Juan“

Wer gibt schon zu, auf Rache aus zu sein? Niemand, solange der so fragile Anschein geistiger Gesundheit auch nur irgendwie gewahrt werden soll. Denn Rache ist ein dreckiges Wort, ein Eingeständnis niederer Instinkte, ein Offenbarungseid des Egos: Es wurde gekränkt, verletzt oder betrogen. Es fordert Wiedergutmachung. Ist also eine Reaktion auf das, was man für Unrecht hält. Keine Strafe, die ja noch ein erziehendes Moment beinhaltet und die das süße Leben im Sozialgebilde sichern soll.

Nein, die Rache ist keine gesellschaftliche Dimension, sondern eine individuelle. Handeln und Wiedergutmachung werden keinem abstrakten System überlassen, sondern selbst ausgeführt. So ist die Rache auch häufig das Gegenteil der Geduld, die das Warten auf die gerechte „Strafe“ des Systems erfordert. Sei es darauf, dass der Verbrecher rechtskräftig verurteilt wird – oder die Brüste der Frau, die den Casanova stahl, endlich zu sacken beginnen.

Abscheulichkeiten, die als „Blutrache“ begangen werden, verbergen, wie weiblich die Rache wirklich ist. Denn als Erklärung für Mord und Totschlag im Namen der Familie dient gerne das paternalistische System. Verwirrend? Vielleicht. Aber auch Frauen können rächen – und nicht selten werden ihre Taten, auch schwere Straftaten, von der Gesellschaft goutiert. Jedenfalls solange der Anlass in irgendeiner Form nachvollziehbar erscheint.

Ein krasser Fall waren beispielsweise die Schüsse der Marianne Bachmeier auf den Mörder ihrer siebenjährigen Tochter Anna. Sie zielte 1981 noch im Lübecker Gerichtssaal auf Klaus Grabowski, und die Bundesrepublik hatte Verständnis für die – inzwischen verstorbene – Frau, auch wenn sie nicht dem gängigen Mutterklischee entsprach. So spontan jedoch, wie Bachmeier das Attentat zunächst darstellte, war es jedenfalls nicht zustande gekommen. Schließlich hatte sie eine Waffe in den Saal geschmuggelt, und nach Aussagen einer Freundin soll sie in einem Keller auch noch Schießübungen absolviert haben. Erfolgreich, denn sechs der acht Schüsse waren tödlich. Bachmeier wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt, nach drei Jahren wurde sie entlassen. Bachmeier hatte ein deutlich erkennbares Motiv, das kaum geächtet wird: Die Mutter, die das tote Kind, das wahrscheinlich auch noch gequält wurde, rächt. Eine Form der weiblichen Rache, die anders gewertet wird, weil sie nicht der persönlichen Satisfaktion dient, sondern dem Eintreten für einen angenommenen als „gerecht“ empfundenen Rechtszustand.

Der Hollywood-Hochglanztyp der rächenden Frau ist Beatrix Kiddo in Quentin Tarantinos „Kill Bill“ I und II, dargestellt von Uma Thurman. Kiddo schwört blutrünstige Rache und hat anscheinend auch die Fähigkeiten, diese akkurat durchzuführen. Sie glaubt, nachdem sie angeschossen wurde und lange im Koma lag, dass sowohl ihr Kind als auch der Mann, mit dem sie eben noch vor dem Altar gestanden hatte, tot sind. Gut, keine besonders realistische Darstellung des Motivs Rache – aber eines, das die meisten Menschen weniger abstoßend, sondern vielmehr unterhaltsam empfanden. Weniger Sympathien schlagen der armen Mrs Mott in Curtis Hansons „Die Hand an der Wiege“ entgegen. Zwar rächt auch sie sich an der Frau, die ihre Familie ins Unglück gestürzt hat, doch ihr wird dieses Motiv angelastet: Der, den sie rächt, hatte sich selbst etwas zuschulden kommen lassen, nämlich sexuelle Belästigung, und dafür schon die „gerechte“ Strafe erhalten. Am Ende kommt Mrs Mott im Rahmen der Eskalation ihres nicht geglückten Rachefeldzuges selbst ums Leben – nur wenige Kinozuschauer weinten ihr eine Träne nach.

Doch das Bild der Rache ist einem Wandel unterlegen. So sind es in Pierre Ambroise François Choderlos de Laclos Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ – einem breiteren Publikum bekannt vor allem durch die gleichnamige Stephen-Frears-Verfilmung mit Glenn Close, John Malkovich und Uma Thurman aus dem Jahr 1988 – die Männer, die an der Marquise de Merteuil Rache nehmen, indem sie Briefe von ihr zirkulieren lassen, die geeignet sind, sie kaltzustellen. In der Teenie-Drama-Version „Eiskalte Engel“ (1999) von Roger Kumble aber sind es die Frauen, die Rache an der Frau nehmen. Ein gesellschaftlicher Fortschritt im Sinne der Gleichberechtigung? Man mag Zweifel daran haben, sicher aber ist, dass die Frauen des Hier und Jetzt weit weniger ohnmächtig sind als ihre eleganten Vorgängerinnen. Was sich auch in der Umsetzung ihrer Rachebedürfnisse niederschlägt.

Einer Studie des University College of London zufolge ist der körperliche Zustand der Rachlust jedoch noch immer eher männlich. Die Forscher untersuchten 2006 die Hirnaktivität von zweiunddreißig Probanden, die während einer Spielerunde gelinkt wurden. Die Betrüger waren Schauspieler, die vorgeblich zur Strafe unter Strom gesetzt werden konnten. Und was fühlten die Frauen laut Messung ihrer Hirnaktivität? Empathie! Nicht zu gleichen Maßen für schuldig und unschuldig Elektrifizierte, aber immerhin. Die Männer hingegen tendierten eher dazu, Freude zu verspüren. „Wir müssen“, räumte aber die Leiterin der Studie, Tina Singer, gegenüber der britischen Zeitung Telegraph ein, „diese Gender-Unterschiede in einer groß angelegten Studie bestätigen.“ Und räumt ein, dass es sich bei der in diesem Fall angewendeten Strafe um eine körperliche Züchtigung handelt. Gut möglich, dass Frauen genauso wenig Empathie aufbrächten wie Männer, wenn psychologische Sanktionen untersucht würden. Solche wie die der sozialen Ächtung in „Gefährliche Liebschaften“ und „Eiskalte Engel“.

Insgesamt hat sich die Darstellung der Frau als Verbrecherin geändert, auch wenn sie, und das ist auch für die Rache typisch, noch weiterhin in männlichen Zusammenhängen steht.

Doch es gibt nunmehr auch andere Kategorien, in denen wir denken müssen: Seit der tödlichen Geiselnahme im Moskauer Musicaltheater im Oktober 2002, an der die „schwarzen Witwen“ beteiligt waren, ist das Bild der rächenden Frau in Form der Selbstmordattentäterin nicht mehr fremd oder abstrus, sondern gefährliche Realität. Auch sie reagieren auf Missstände, die die Mehrheit der Menschen vielleicht als unfair bezeichnen würde, doch durch die Gefahr und die Beliebigkeit ihrer Rache ist das Bild der Frau, die sich zu Recht wehrt, endgültig gebrochen. Die Frau ist zur schlichten Verbrecherin geworden.

Die Rache wandelt auf einem schmalen Grat. Die Rache, nach der auch Frauen dürsten können, hat viele Facetten. Brutale, subtile, verzweifelte und kaltblütige. Die amerikanische Unternehmerin Ivana Trump, Exfrau von Donald, behauptet zum Beispiel, eine ganz besondere Art gefunden zu haben: „Die beste Rache sind tolle Haare.“

NATALIE TENBERG, Jahrgang 1976, mag „Kill Bill“ nicht. Zu brutal