Der Sorry-Entertainer

Falsch platziertes Wort

Er hatte seine Gitarre dabei. Es war Silvester, es war klirrend kalt, und er hatte seine Gitarre mitgebracht. Zwischen den Gängen nutzte er die Rauchpausen, um aus seinem kleinen, selbst geschaffenen Oeuvre vorzutragen. Er verstand sich als Clown, als Kabarettist, als lustiger Liedermacher. Seine Lieder basierten jeweils auf einem Gag, dauerten aber ungefähr drei Minuten.

Das erste Stück handelte vom Scheitern einer Liebelei, vom Zerfall des Liebeskartenhauses durch ein falsch platziertes Wort. Die Gagline lautete ungefähr: „Sie fragte ihn: Woran denkst du, und er sagte: Homebanking.“ Ein gar nicht so schlechter Gag. Das zweite Lied, in der Rauchpause zwischen dem Hühnchencurry und der Nachspeise, handelte von sexueller Diffusion. „Ich weiß nicht mehr weiter, denn ich habe die letzte Nacht/ mit Guido Westerwelle verbracht.“ Oder so ähnlich.

Auch sonst separierte er sich. Unsere heimliche Zuneigung gewann er, weil er auf den Klezmer House, der später zum Tanzen lief, nur ironisch tanzte; dadurch, dass er die Wartezeit vor Mitternacht mit einer originalgetreuen Version von „Buenos Tardes Amigo“ von Ween überbrückte; dadurch, dass ihm dann die D-Seite riss (auf der Gitarre zu Hause fehlte sie auch), und dadurch, dass er vorschlug, zum Jahreswechsel nicht auf die Straße, sondern aufs Dach zu gehen.

Dort zeigte sich Berlin von der besten Seite. Das Feuerwerk war prall und sah einfach gut aus von oben. Freunde herzten sich innig; andere riefen an. Der „Sorry Entertainer“ (frei nach Daniel Johnston) stand immer etwas abseits. Schließlich wagte er sich auf einen Schornstein. Da stand er dann, weit über den Köpfen der anderen, weit über den Straßen, weit im Himmel Berlins.

RENÉ HAMANN