Verzichten auf den Wienerwald

Es wird schon: Am Freitag gab’s Ödön von Horváth im Schauspielhaus. Regie hatte Andreas von Studnitz

Ein einzigesintimes Du – und schon klemmt die Schublade.

infach über etwas anderes zu schreiben, das ginge natürlich auch, wenn man kein Preuße wäre und die Chronistenpflicht heiligte. Wobei sich die Grenzen Preußens so genau nicht mehr bestimmen lassen, geschweige denn das jeweils eigene qua Herkunft und Zugehörigkeitsgefühl zu ermittelnde Mental-Borussentum.

Das spräche freilich für Stammbaumpflege, sodass wenigstens eine Brücke gebaut wäre zurück zu Ödön von Horváths Geschichten aus dem Wienerwald. Zumindest zu ihrem Bremer Regisseur. Der nämlich kann als Angehöriger des Geschlechts derer von Studnitz – laut der auf den Handel mit Prädikaten spezialisierten GVS-Consulting-Gruppe „eine der ältesten deutschen Adelsfamilien“ – bis in die Kreuzfahrerzeit zurückblicken auf Vorfahren. Aber stammt er aus Ostpreußen? Oder gehört er dem böhmischen Zweig der Familie an? Die Preußenfrage muss wohl auch hier als ungelöst betrachtet werden.

Es empfiehlt sich demnach ein Kompromiss. Man könnte sich zum Beispiel vorstellen, das Ganze wäre eine Probe gewesen. Das wär doch noch ziemlich nah dran. Und wer wüsste schon, wie es zugeht bei einer Probe von Ödön von Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald. Wie geht es also zu bei einer Probe von Ödön von Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald? Na bitte. Schon viel spannender. Denn in einer Probe herrscht das Werden vor. Die Watte des Suchens füllt den Zeitraum zwischen Rede und Gegenrede, bis denn der Regisseur eine Idee hat, wie sich das Ganze beleben ließe. Wenn er denn eine hat. Das Werden ist ja wenigstens die Einheit, die durch die Verschiedenheit des Seins und Nichts, die in ihm ist, in sich gegen sich selbst ist. Was sich bestens an einem garenden Backhendl ablesen lässt: Anfangs ist es eher blass, das Hendl, aber das wird schon. Binnen 20 Minuten ergibt sich – der wahre Wienerwäldler bestreicht’s dafür mit Natronlauge – eine braune Kruste. Und dann passt’s schon, auch wenn’s innen noch ein wenig blutig ausschaut.

Horváth hatte es weniger mit Hegeln und Hendln als mit den Vorsokratikern. Aber die sind in der Sache noch radikaler. Anaxagoras zum Beispiel, der Erfinder der Homoiomerien, eine Art Sperma des Noûs-Gottes, das dieser ständig in Wirbelbewegung versetzt, bis schließlich der Wienerwald da ist. Das war schon in der Eiszeit der Fall, als es dort nur Birken und Kiefern gab, zu denen sich erst später Eschen, Buchen und Hendl-Gastronomen gesellt haben. Das Noûs wirbelt also bis heute. Und mittendrin: Horváths Geschichten.

Aber zurück zum Wesentlichen: Wie könnte es bei so einer Probe zugehen? Nicht bei irgendeiner beliebigen, natürlich: Bei einer Geschichten-aus-dem-Wienerwald-Leseprobe, bei der Regisseur Andreas von Studnitz es übernommen hätte, das Episoden-Drama in die Gegenwart zu transponieren. Ins Heute – das ließe sich nicht so problemlos sagen, denn das ist meist ein subjektiver Wert: Es bezeichnet jene Zeit, als man selbst noch jung und wild war, während die mütterliche Freifrau im Damenkränzchen mit besorgtem Stolz erzählte, dass ihr kleiner Andreas den Kopf immer so voll Flausen hätte. Aber das ist lange her.

„Nun also zu uns“, würde der Regisseur gleich zu Beginn der Proben das Schauspieler-Ensemble gemustert haben. „Beim Oskar, da ist die Sache klar. Der hält sich an der Kirche fest, ganz extrem. Das macht bei uns der gute Herr Kleinert“, wobei er Matthias Kleinert huldvoll-lächelnd angeschaut haben könnte. Dann aber hätte er sich, strenger, Fritz Fenne zugewandt: „Also für den Alfred“, würde der Regisseur gesagt haben, „für den Alfred habe ich mir etwas ganz Besonderes ausgedacht.“ Dann eine Kunstpause. „Du…“

Nein, das war jetzt ein Fehler. Unvorstellbar, dass Andreas von Studnitz die Schauspieler duzt. Man wird ihn sich ausmalen müssen als jemanden, der seine Distanz wahrt: Mit gutem Grund. Es wäre zum Beispiel nicht ratsam, wenn, sagen wir, ein Schreiner eine zu große Nähe zu seinem Holz entwickeln würde. Und Mitleid hätte beim Hobeln. Darunter litte die handwerkliche Exaktheit. Ein intimes Du – und schon klemmt die Schublade.

„Sie müssen“, würde der Tischler, nein, der Regisseur, also fortgesetzt haben, „den Alfred wahnsinnig schmierig geben. Der Alfred, das ist ein ganz schmieriger Charakter. Chargieren Sie also was das Zeug hält.“ Nun ja, es macht ja auch Spaß, mal dick aufzutragen. „Aber Herr Studnitz…“, könnte der Alfred-Darsteller noch zaghaft gefragt haben. „von! Studnitz bitte schön“, würde der Regisseur scharf dazwischengefahren sein. „Bitte sagen Sie stets von Studnitz. Und die Damen, die jünger sind als ich“ – dabei würde er die fabulöse Friederike Pöschel angeschaut haben, die Marianne, jenen armen Hobelspan von feinstem Noûs-Holz wirklich ausdrucksstark hätte spielen können, „dürfen einen Knicks machen.“ „Euer Durchlaucht?“ „Neineineinein. Das wäre anmaßend. Herr von Studnitz und sonst gar nichts.“ „Also Herr von Studnitz, und was ist mit den Zwischentönen?“ „Neineineinein. Die lassen wir mal schön weg. Das versteht ohnehin niemand. Hauptsache, Sie sprechen klar und deutlich. Es sei denn mir fällt noch einmal was Gutes ein.“

Und dann würde der Regisseur mit dem Bühnenbildner Florian Parbs telefoniert haben: „Für den Horváth hätte ich gerne eine fett gemusterte grüne Tapete.“ Okay, würde Parbs geantwortet haben, wird besorgt. Und sonst? „Na, meinetwegen können Sie noch ein paar Stühle reinstellen. Mich interessiert immer, nur das Allernotwendigste an Requisiten zuzulassen.“ Und schon weiß jeder was zu tun und was zu lassen ist, und am Ende klemmt die Schublade nicht und das Hendl hat eine prima Kruste.

Benno Schirrmeister

Vorstellungen: 29.04., 6., 16.,21., 26. & 29. Mai, jeweils 20 Uhr