Aus Holz wird ein Handy

Für die einen sind Blechdosen nur Abfall, für die anderen das größte Spielzeug der Welt: Die Ausstellung „Weltspielzeug“ zeigt, womit Kinder in armen Ländern jenseits von Lego spielen

„Man sollte hier nicht mit romantisch verklärtem Blick durchlaufen“

taz ■ Alte Socken sind noch gut zu gebrauchen – als Fußbälle. Aus Bierflaschenetiketten werden glänzende Baseballkappen und Obstkistenholz verwandelt sich in kleine Autos. Kinder in Afrika oder Lateinamerika basteln ihr Spielzeug selbst – aus Dingen, die anderswo weggeschmissen werden. In der Ausstellung „Weltspielzeug“ im Überseemuseum in Bremen, die in der Nacht der langen Museen am Samstag eröffnet wurde und noch bis zum 31. August zu sehen ist, ist ausgestellt, was Kinder dieser Welt aus vermeintlichem Abfall basteln. Und das sorgt für Bewunderung. Besucher Dieter Kuznik drückt sich die Nase vor der Vitrine mit den kleinen Holzautos aus Tansania platt. Sogar den Markennamen haben die Kinder auf den Kühler geschrieben. „Ich habe früher auch so etwas gebaut“, sagt Kuznik, Jahrgang 1952, „aber lange nicht so perfekt, denn irgendwann bekam ich fertige Autos aus dem Laden geschenkt.“ Ohne die makellosen Industriespielzeuge aber werden Kinder erst kreativ. Das zeigen die vielen Ausstellungsstücke. Das kleine Kriegsschiff aus sorgfältig zurechtgeschnittenem Konservenblech zum Beispiel hat sogar einen eigenen Antrieb. Die Kinder in Indonesien füllen dort ein paar Tropfen Spiritus ein. Der Rauch sorgt dann für Bewegung.

All diese handgefertigten Einzelstücke hat „Plan“ gesammelt, eines der größten und ältesten Kinderhilfswerke der Welt. Es betreut Patenschaften für über eine Million Kinder in 45 armen Ländern. Mit 25 Euro im Monat unterstützen Paten aus den reichen Ländern Kinder in den armen. „Allerdings darf man hier nicht mit einem wunderbar romantischen Blick durchlaufen. Ich wüsste gern, ob sich die Kinder in den armen Ländern auch über unser Spielzeug freuen würden“, sagt Besucher Kuznik.

Tatsächlich wollen die Veranstalter der Ausstellung von der Hilfsorganisation „Plan“ keine romantischen Gefühle erzeugen. „Schließlich muss auch das Recht der Kinder auf Freizeit und Spiel mancherorts erst erkämpft werden“, sagt Maren Spöhring, Pressereferentin bei „Plan“. Die selbst gebauten Spielzeuge dokumentieren nicht nur Kreativität, sondern auch Not und Elend.

Recht auf Spielen aber, das haben an diesem Abend zumindest die vielen Kinder im Untergeschoss des Überseemuseums. Zum Beispiel mit der „Schnurrkatze“. Brigitte Nicolay vom Überseemuseum erklärt wie das Spiel geht. Durch einen kleinen Gegenstand aus Material, das gerade zur Hand ist, wird ein Faden gezogen. Wird die Schnur verzwirbelt, gibt es ein Geräusch wie ein Schnurren. „Die Eskimos nehmen dazu Knochen, ich habe hier einen Kronkorken durchbohrt und in die Mitte gesteckt“, sagt Brigitte Nicolay. „Bei uns hieß das früher Sumbadar“, sagt Rafael Guadarrama, „wir haben es mit Knöpfen gespielt.“ Der Mexikaner hält seiner kleinen Tochter einen Kronkorken fest, damit sie ihn mit einem Nagel durchbohren und aufwickeln kann.

Die Kolumbianerin Marta Siebrands kennt ebenfalls vieles, was hier in Vitrinen steht, noch aus ihrer eigenen Kindheit. „Ja, solche Puppen aus Blättern der Bananenstaude, die hatten wir auch“, sagt sie und lacht. „Und mein Vater hat uns eine Wippe aus einem Baumstamm gebaut.“

Ob deutsche Kinder und vor allem deutsche Eltern dafür Geduld hätten? Mitten in der Ausstellung sitzt eine deutsche Familie um einen Tisch. „Wir basteln auch mit Naturmaterialien – reines Erdöl“, feixt der Großvater, dessen Enkel gerade mit einem Fertigbausatz aus einem Überraschungsei kämpft. Direkt hinter dem Jungen läuft in einem Fernseher ein Film, der Kinder auf Haiti beim Spielzeugbasteln zeigt. Die stecken nichts Fertiges zusammen, sondern bearbeiten gemeinsam eine alte Kunststoffflasche. Während einer die Reifen aus altem Blech baut, schneidet ein anderer vorsichtig mit einer Rasierklinge in die Flasche. Der deutsche Junge steckt allein sein Plastik zusammen. „Wo kommt das eigentlich her“, fragt die Mutter. „Aus China“, sagt der Junge. Aus dem Land, wo Kinder Handys aus Holz und Autos aus alten Blechdosen bauen.

Markus Vollstedt