: „Ich bin eine Antragsdeutsche“
Ipek Ipekçioglu
Übersetzt ins Deutsche bedeutet ihr Name „Seide Seidenmachersohn“. Die 31-jährige Sozialpädagogin wurde in München geboren. Schon früh merkte sie, dass sie sich mehr für Frauen als für Männer interessierte. Die ersten Erklärungen für ihr Begehren fand sie in der türkischen Literatur. „Deshalb dachte ich zuerst, Lesbischsein sei was Orientalisches“, sagt sie. In Berlin wurde Ipek Ipekçioglus Talent zum Plattenauflegen entdeckt. Ihr Stil: Oriental Dancefloor. Zu hören: bei der Abschlusskundgebung des Kreuzberger CSD am 28. Juni.
Interview WALTRAUD SCHWAB
taz: Frau Ipekçioglu, Sie haben sich Ihre Haare abrasieren lassen. Warum?
Ipek Ipekçioglu: Ich wollte Veränderung. Zufällig bin ich in die Ausstellung „wonderyears“ in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst geraten. Es ging um die Auseinandersetzung israelischer Künstler mit der Schoah. Eine Künstlerin bot kostenlos Trockenhaarschnitte von null bis vier Millimeter an. „Wenn schon Haareschneiden, dann als Event“, dachte ich und ging als Muslimin zu dieser Jüdin, um mir die Haare abrasieren zu lassen. Ich war mir bewusst, dass die kurzen Haare nur Fashion sind.
Soll heißen, Sie haben die Wahl?
Klar. Während im Holocaust die Leute zwangsweise kahl rasiert wurden. Umso spannender, in der aktuellen Situation als Muslimin hinzugehen.
Wurde das verstanden?
Nein. Ich habe die Künstlerin gefragt, „Wie ist es für dich, aus einem Haarschnitt, der damals Menschenverachtung ausdrückte, eine Mode zu machen und mich damit zu beglücken?“ Sie hat mir keine Antwort darauf gegeben.
Steht die Aktion für eine neue persönliche Radikalität?
Im Gegenteil: Frauen mit superkurzen Haaren wie Sinead O’Connor finde ich schön und interessant. Frauen mit Glatze können superweiblich aussehen. Aber ich habe tags darauf meinen Bruder angerufen und gesagt: „Ey, du hast jetzt ’ne Skinhead-Schwester.“ – „Ey, warum hast du das gemacht?“, hat er gefragt.
Seit fünf Jahren sind Sie die türkische Vorzeige-DJane Berlins. Was macht Sie so vorzeigbar?
Es gibt wenig nichtdeutsche DJs und noch weniger, die Oriental Dancefloor machen. Dazu kommt: Ich bin Türkin und lesbisch. Das macht mich aus Marketinggründen interessant.
Man möchte sich schmücken mit einer türkischen, lesbischen Szenefrau?
Die meisten möchten mich, weil ich Musik mache, auf die die Leute abtanzen können. Viele schreiben aber „türkisch und lesbisch“ in die Ankündigung, weil die Party dann interessanter wird.
Oder politisch korrekter?
Interessanter, weil damit auch ein anderes Publikum kommt.
Exotik zieht?
Ja. Früher fand ich das nicht gut, aber jetzt stört es mich nicht mehr.
Die Frage bleibt: Werden Sie wahrgenommen, weil sie türkisch und lesbisch sind oder weil sie gute Musik auflegen?
Weil ich gute Musik mache. Meine lesbische und meine türkische Identität haben doch erst dazu geführt, dass ich auflege. Weil ich wollte, dass innerhalb der Lesben- und Schwulenszene andere Musik läuft. Ich wollte nicht die heterosexuelle Musikszene verändern, sondern die lesbisch-schwule Tanzszene.
Warum?
In ihrem Musikgeschmack ist sie zu weiß, deutsch, angloamerikanisch. Ich habe sie um Orientaldance ergänzt. Diese Musik ist genauso tanzbar und es gibt auch uns, die homosexuellen Migranten und Migrantinnen. Wir wollen in der Subkultur wahrgenommen werden.
Kritik an der lesbisch-schwulen Szene also?
Musik macht glücklich. Wenn ich irgendwo tanzen war und es wurde ein arabischer, indischer oder türkischer Song gespielt, bin ich glücklich geworden. Warum sollen nicht mehr Menschen dieses Glück spüren? Ich hatte es satt bei den DJs zu betteln, dass sie mal einen Song spielen, der mich und andere glücklich machte. Ich wollte eine Plattform, einen Ort, wo nichtdeutsche Lesben und Schwule auch tanzen können, auch so sein können, wie sie sind.
Deshalb sind Sie vor Jahren zum Auflegen gekommen?
1994 war das. Der Veranstalter vom SO 36 hat mich zwei Tage vor einer Party angesprochen: „Hey, unser türkischer DJ kann nicht. Kannst du nicht auflegen? Du bist doch türkisch und lesbisch.“ Ich hab gesagt: „Ja okay. Ich hab’s noch nie gemacht, ich weiß auch nicht, wie es wird, aber ich probier’s. Es ist ’ne Ehrensache.“ Damals hab ich mit ’nem schwarzen Tschador aufgelegt.
Hat jemand darauf reagiert?
Nein.
Haben Sie sich vorher schon mit Musik beschäftigt?
Ich habe viel sephardische, armenische, gregorianische und klassische Musik gehört. Mit Pop hatte ich nicht so viel am Hut. Aber ich war eine, die gerne tanzen gegangen ist. Dann habe ich eben alle meine Kassetten zusammengepackt, von denen ich dachte, sie sind einigermaßen tanzbar.
Seit damals sind Sie dabei?
Ich wurde immer öfter angesprochen. Für Soli- und Lesbenveranstaltungen zuerst. „Ach Ipek, du machst doch internationale Musik.“ Konfliktlos war das nicht.
Warum nicht?
Weil die, die sich links nennen, auch keine Ahnung haben, wie man über den eigenen Horizont schaut. Ausgerechnet als ich zum ersten Mal auf einer Walpurgisnachtfete, wo Frauen vorher gegen Sexismus und Rassismus protestiert hatten, auflegte, wurde ich schon nach drei Songs ausgebuht.
Warum?
Weil ich angeblich nicht tanzbare Musik gespielt hatte. Zu fremdländisch. Darauf habe ich „Sing Hallelujah“ von Dr. Alban aufgelegt und gesagt: „Wenn das eurer Niveau ist, das kann ich auch.“ Aber das hat so einen Herzbruch in mir gegeben. Ich verstehe mich als Teil dieser Szene, aber meine Präsenz und die vieler Frauen, die nichtdeutscher Herkunft sind, wird noch nicht mal anhand der Musik akzeptiert.
Ist es mittlerweile besser geworden? Hat die Szene was kapiert?
Ja, aber ich fahre auch eine Zuckerbrot-und-Peitsche-Strategie. Auf drei nicht anglo-amerikanische Musiksachen mache ich wieder eine Weile englisch und dann mache ich wieder mal arabisch, mal lateinamerikansich, mal türkisch. Dann wieder englisch. Drei mal vier Minuten wirken wie eine Ewigkeit für jemanden, der die Musik nicht kennt. Die kommen damit nicht klar. Sie denken: „Dazu kann ich nicht tanzen.“ Ich denke: „Dazu wollen sie nicht tanzen.“
Das hört sich eher nach Ipek, der Pädagogin, die Sie ja auch sind, an, als nach Ipek, der DJane.
Es gibt die Pädagogin. Wenn ich Oriental spiele und die Tanzfläche wird leer, lege ich Rosenstolz oder Marianne Rosenberg auf. Einige kapieren’s.
Soll heißen, guckt mal wie eng euer Horizont ist?
Guckt mal, wie leicht ihr zu kriegen seid und wie wenig ihr euch mit anderen Richtungen auseinander setzen wollt.
So was wie Manipulation also?
Wieso? Ich bin eigentlich ein sehr netter Mensch. Auch wenn ich auflege. Aber wenn jemand kommt und sagt: „Ich kann nicht darauf tanzen“, dann sage ich: „Andere können es. Es ist okay, wenn du drei Minuten nicht tanzen kannst.“ – „Ey, was soll das? Ich hab Eintritt bezahlt“, kommt als Antwort zurück.
Sind Sie eine wütende Person?
Ich kann wütend sein. Viele denken, „Ipek ist ’ne Türkin, die spielt nur türkische Musik.“ Bei so viel Borniertheit kann man nur wütend werden. Die haben keine Ahnung. Ich spiele türkische und kurdische Musik. In keinem türkischen Laden würdest du so was hören. Ich spiele hebräische, indische und arabische Musik. Dazu Rai und türkischen HipHop. Aber ich stehe genauso auf angloamerikanischer Disco und House.
„Ipek ist ’ne Türkin“, wird gesagt, was sind Sie wirklich?
Ich bin eine Antragsdeutsche. Bin Berlinerin. Kreuzbergerin. Ich habe die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt und sie 1991 bekommen. Ich habe kein deutsches Blut. Ich bin Antragsdeutsche mit Migrantenbewusstsein. Ich bin zweite Generation, bikulturell sozialisiert. Ich bin Ipek, lebe lesbisch, bin Akademikerin. Ich habe viele Gesichter.
Oft werden Sie auf eines festgelegt: Die Lesben sehen die Lesbe, die Deutschen die Türkin.
Die Deutschen stellen mich auch gerne in die Deutschen-Ecke, in die Ach-ist-sie-so-assimiliert-Ecke. Ich bin eine jener wunschassimilierten Personen. Ich frage Sie: „Wie sieht ein assimilierter Türke aus?“ Man weiß es natürlich nicht. Trotzdem, ein paar Kriterien hat man: Sie sollten möglichst unauffällig sein – gut, dem entspreche ich nun nicht. Aber ich spreche, was man schon sollte, ziemlich gut deutsch. Ich bin nicht kriminell, nicht traditionell. Natürlich bin ich immer noch lesbisch. Aber in ihrem Wunschassimilationsdenken ist es besser, ’ne Lesbe zu sein als ’ne Kopftuchtürkin. Lesbischsein ist ja ein Zeichen von Modernität, was man einer Orientalin normalerweise nicht zutraut. Traditionelle Menschen können nicht lesbisch sein. Ergo: Ich bin ziemlich deutsch.
Schon als Teenager haben Sie sich in Coming-out-Broschüren als lesbische Migrantin präsentiert. In einer Ausgabe des Stern von 1993 gehörten Sie zu den porträtierten Frauen liebenden Frauen. Der klassische Sozialisation eines Migrantenmädchens entspricht das kaum.
Ich hatte Glück. Ich hatte die Unterstützung meiner Mutter. Als ich ihr sagte, dass ich mich in eine Frau verliebt habe, meinte sie: „Tu nichts, was du hinterher bereust. Und wenn du es tust, bereue es hinterher nicht.“
Wie reagiert die türkische Community auf Sie?
Ich sehe für sie nicht türkisch aus. „Ach du bist Türkin. Ich dachte du bist Punk,“ hat mal ’ne andere Türkin an der Fachhochschule zu mir gesagt. Aber ich bin drüber weg, dass ich in jeder Reaktion etwas Bösartiges sehe.
War das früher so?
Ja. Jetzt ist es so, dass ich denke: Mir geht es gut, ich will mein Leben leben. Ich will in meinem Privatleben nicht ausschließlich Antirassismus und Antisexismusarbeit zu leisten.
Verstehen Sie die türkischen Kids, die heute wütend auf die Gesellschaft sind und Steine schmeißen?
Ich kann sie verstehen und es erklären.
Wie?
Die gesetzlichen Bestimmungen und die Art, wie viele Deutsche mit den Migranten umgehen, vermitteln dir, dass du nicht willkommen bist. Das ist nicht auszuhalten. Deutschland muss aber endlich kapieren, dass Deutschland viele Gesichter hat.