These Boots Are Made For Talking

Das südafrikanische Tanz- und Musiktheater Gumboots wurde im Vorfeld exotistisch als Anmachshow beschrieben. Doch beim Auftritt im BKA-Zelt kam Ironie ins Spiel, und plötzlich sah man keine Bodybuilder mehr, sondern Tänzer mit Charakter

von ANDREAS BECKER

Als Kinder haben wir Plastiktüten um Äste gewickelt, angezündet und mit dem tropfenden, heißen Kunststoff unsere Gummistiefelspitzen mit bunten Punkten verziert. Manchmal kam es dabei zu kleinen Unfällen, plötzlich brannte der Gummistiefel, und das Opfer tanzte schreiend durch den Garten zum Wasserhahn.

Die Entstehungsgeschichte des südafrikanischen Tanztheaters Gumboots beginnt in den Goldminen des Landes, wo unter mörderischen Bedingungen gearbeitet wurde. Mit dem Stampfen der Stiefel und Zulu-Gesängen übermittelte man sich geheime Botschaften oder Warnungen. Unter dem Apartheidsregime schufteten die schwarzen Miner im Wasser stehend und in Fußketten gelegt. Sprechen war verboten. Der Gumboot-Dance wurde dann auch über der Erde praktiziert, als Geheimsprache gegen die weißen Ausbeuter und zum Partymachen. Eine Goldmine für Linguisten.

Mit Abschaffung der Apartheid entwickelte sich der Minerdance weiter zum Straßentheater. Die Ursprungstruppe von Gumboots existiert seit 1990. Die jungen Leute hatten sich im Thabisong Jugendclub Soweto kennen gelernt und dann später die Rishile Gumboot Dancers of Soweto formiert. Seit fünf Jahren hat die Gruppe ein professionelles Management und reist durch die halbe Welt. Gerade war man auf längerer USA- und Kanada-Tour. „Wir waren sogar schon in Hongkong“, erzählt einer der Tänzer nach der Aufführung im BKA-Zelt. Im Vorfeld der Show war zu befürchten, die Gumboots-Show sei eine Mischung aus Stomp, Chippendales und Cirque du Soleil. Kommerzialisierte Franchise-Theater mit perfektem Marketing, die so lange auf Welttour geschickt werden, bis sich die Sache ein für allemal totgelaufen hat.

Das Publikum scheint zum Teil allerdings genau wegen dieser exotistischen Vorberichterstattung gekommen zu sein. So ein schwarzer, schwitzender Männerkörper scheint vor allem auch die Damen in der kleinen Radio-100,6-Sitzreihe links vor der Bühne in Rage zu versetzen, die die Tickets bei Gewinnspielen ergattert haben.

Auf der Bühne erscheinen dann pünktlich nach Ausschank der überteuerten Getränke für die Leute an den Tischen im Halbrund zehn Tänzer im Blaumann, mit buntem Kopftuch und mit den so wichtigen dicken Stiefeln mit Rasseln dran. Zunächst eine Referenz an den Helden des Widerstands gegen die Rassisten: „Nelson Mandela“ singen sie und stampfen und grooven sich langsam ein. Das Bühnenbild imitiert die Schachtanlagen einer Goldmine: „The man who took the gold, has stolen the sun“. Die Stimmung im Publikum ist verhalten. Erst als die Tänzer nach drei, vier Stücken die Hemden ausziehen, wird es auf der weißen Seite des Zeltes fröhlicher. Tanzen kann man leider nicht, weil es nur Sitzplätze gibt.

Für die aufgebrezelten Girls an den vorderen Tischchen beginnt nun das Highlight des Abends. Cheftänzer Vincent Ncabashe mimt den Verführer. Er lädt eine der Schönheiten von der Bühne ein, später noch ein „Dinner“ mit ihm zu haben. Schon will man den Auftritt trotz seiner mitreißenden Rhythmik als Anmachshow abhaken, da kommt Ironie ins Spiel. „Are you fooling me. Or am I fooling you?“, fragen die Kunstbergmänner – ihr Englisch allerdings scheinen viele gar nicht zu verstehen. Erst als ein Tänzer sein Halstuch Richtung Hose gleiten lässt, sich lasziv räkelt und fragt: „Am I too sexy for you“, lachen manche. Die Stimmung wird lockerer. Und das 90-Minuten-Stück funktioniert immer besser, man sieht keine gestylten Bodybuilder mehr, sondern richtig gute Tänzer mit Charakter, die nicht einfach irgendwo gecastet wurden, sondern aus armen Verhältnissen in Südafrika kommen.

„Wir haben absichtlich ironische Elemente in der Show und auch politische Geschichte“, sagt Tänzer Nicholas Nene später, der schon seit fast zehn Jahren mit der Truppe herumreist. Er erzählt von seiner Jugend in Soweto, wo es keine Gesundheitsversorgung gab und keine Schulausbildung – auch nicht für ihn. „Heute ist es viel besser. Es gibt zwar Kriminalität, aber keine sinnlose Gewalt mehr. Man hat Rechte und kann die Polizei rufen.“ Sein Kollege Vincent erzählt gerade noch, dass er natürlich oft von unterwegs seine Familie anruft – da kommt eine der Schönheiten, die er scherzhaft zum Dinner eingeladen hatte, und will sich mit ihm treffen.

Bis 3. 8., tägl. (außer Montag), 20 Uhr, BKA-Zelt am Schlossplatz, Mitte