Die Suche nach den letzten Löchern

Zwar setzt es in der Weltliga fast nur Pleiten, aber nach zwei halbwegs knappen Niederlagen gegen den amtierenden Weltmeister Brasilien wähnen sich die deutschen Volleyballer in der richtigen Richtung auf ihrem langen Weg gen Weltspitze

aus Berlin MATTI LIESKE

Das Lob des Weltmeisters war leicht vergiftet. „Eine gute Lehre für meine Mannschaft“, sprach Brasiliens Coach Bernardo Rezende nach dem schwer erkämpften 3:2 (25:18, 25:23, 22:25, 21:25, 15:9) in der ersten von zwei Weltliga-Partien gegen die deutschen Volleyballer. „Wenn wir nicht voll konzentriert sind, dann verlieren wir gegen solche starken und großen Teams wie Deutschland.“ Am Sonntag war man dann voll konzentriert und fertigte die Deutschen mit 3:0 (25:21, 25:19, 25:20) ab.

Trotzdem bleibt die Erkenntnis: Auch wenn Brasiliens Coach mit „stark und groß“ keineswegs Qualität und internationalen Stellenwert der Mannschaft von Stelian Moculescu meinte, sondern die Körpermaße, beinhaltete sein Satz immerhin die Möglichkeit, dass die Deutschen den Gewinner der letzten WM und Olympiasieger von 1992 schlagen könnten – ein Gedanke, der noch vor wenigen Jahren schallendes Gelächter in der Welt des Volleyballs hervorgerufen hätte. Andererseits ließen Rezendes Worte keinen Zweifel am Klassenunterschied beider Teams und daran, dass Brasilien natürlich gegen Deutschland gewinnt, wenn es halbwegs normal spielt.

Moculescu kann mit der Einschätzung seines Kollegen dennoch gut leben. Der Bundestrainer weiß, dass seine Mannschaft vom Niveau der Weltspitze noch ein gutes Stück entfernt ist, er weiß aber auch, dass die Kluft immer kleiner wird. Man sei noch nicht auf Augenhöhe, hatte er zuletzt nach den beiden ebenfalls ehrenvollen Niederlagen in der Weltliga gegen Italien gesagt, aber man habe inzwischen Augenkontakt. In der Berliner Max-Schmeling-Halle war am Samstag zumindest zwei Sätze lang, als die Deutschen vor 3.092 begeisterten Zuschauern einen 0:2-Satzrückstand in ein 2:2 verwandelten, sogar die Augenhöhe in Ordnung. Dann kam jedoch das zum Tragen, was der Spieler Ralph Bergmann „Löcher“ nennt, der Spieler Frank Dehne „dumme Fehler“ und der Trainer „sich selbst im Weg stehen“. Im fünften Satz dauerte es keine Minute, und es stand 0:5. „So was kannst du vielleicht in der Bundesliga aufholen, aber nicht gegen Brasilien“, meinte Bergmann.

Immer wieder sind es solche Phasen des Konzentrationsmangels, die das Team um den Lohn seiner Mühen und den oft stoisch wirkenden Moculescu auf die Palme bringen. Während Bernardo Rezende nach jedem Ballwechsel, erfolgreich oder nicht, mit großen Kulleraugen auf seine Akteure einschimpft, steht der Bundestrainer meist mit unbewegter Miene am Spielfeldrand. Richtig heraus brach es aus ihm nur einmal. Just, als seine Leute gerade den dritten Satz gewonnen hatten, las er ihnen heftig die Leviten, weil sie zuvor frei nach der Löchertheorie vier von sechs Satzbällen versiebt hatten. „Wir wollen immer versuchen, etwas ganz Besonderes zu spielen, aber oft ist das nicht nötig“, rügte Moculescu später.

Gar zu sehr wollte der Trainer aber nicht maulen, schließlich hatte er „phasenweise guten Volleyball“ gesehen. Im Vordergrund steht in diesem Jahr sowieso nicht die Weltliga, sondern die Europameisterschaft, die im September in Deutschland stattfindet. Ziel ist das Erreichen der Endrunde in Berlin, ein ehrgeiziges Projekt für ein Team, das bei seinen letzten beiden EM-Teilnahmen 1997 und 2001 jeweils Neunter wurde und sich 1999 gar nicht qualifizierte. Nach dieser Blamage wurde Moculescu geholt und setzte gegen den Widerstand störrischer Funktionäre als Erstes die Teilnahme an der teuren Weltliga durch, für die der Verband ein erkleckliches Startgeld entrichten muss. Finanziell rentiert sich die Sache erst mit dem Erreichen der Endrunde – eine utopische Vorstellung.

Sportlich lohnt sich die Weltliga dagegen allemal. „Das ist eine optimale Vorbereitung, wenn man unter echten Wettkampfbedingungen gegen die besten Teams der Welt spielen kann“, schwärmt Ralph Bergmann. Gab es im Jahr 2001 noch zwölf Niederlagen in zwölf Spielen, waren es letztes Jahr schon vier Siege, einer davon gegen den späteren Champion Russland. Diesmal stand bis zum gestrigen zweiten Heimspiel gegen Brasilien zwar erst ein Erfolg über Portugal zu Buche, aber die engen Matches gegen Italien und die Südamerikaner geben Moculescus Strategie Recht. „Wir sind immer einen Schritt weiter gekommen“, freut er sich. Dumm nur, dass die anderen auch Fortschritte machen. „Und wir kommen von weiter hinten, also müssen wir größere Schritte machen.“ Mit Siebenmeilenstiefeln zur EM, so die Devise, Bergmann jedoch warnt, die starken Auftritte in der Weltliga als Garantie für eine erfolgreiche EM zu werten: „Heute ist heute, morgen ist morgen.“ Und dann sind da ja auch noch die Löcher.