Ein Prozent fehlt

Auf dem Weg zur Meisterschaft ist Thomas Schaaf die Gelassenheit selbst – auch nach einem 0:0 in Bochum

BOCHUM taz ■ Ungewohnt einsilbig verließ Peter Neururer am Sonntagabend das Bochumer Ruhrstadion, um in seinen 49. Geburtstag hineinzufeiern. Die sonst verbal oft opulente Pressekonferenz nach dem Spiel beendete der VfL-Trainer fast ohne Statement: Ob jemand noch Fragen habe? Sonst möchte er sich nämlich nach dem „tollen Spiel“ einfach Thomas Schaafs Ausführungen anschließen. Werder Bremen wünsche er alles Gute: „Wer hier so auftritt, hat es verdient, deutscher Meister zu werden!“ Doch auch das Kollegenlob schmunzelte Bremens Trainer Thomas Schaaf an diesem Bochumer Abend weg.

Die Gelassenheit, mit der Schaaf die für ihn eigentlich ärgerliche Punkteteilung gegen den VfL Bochum ertrug, war ansteckend. In seinem überweiten Werder-Kapuzenpulli umhüllt Thomas Schaaf die Coolness norddeutscher HipHopper, mit langsamen und tiefen Schritten schlurfte er durch die Katakomben.

Irgendwie schmerzfrei und fast unverwundbar scheint Schaaf auf dem Weg zur Meisterschale. Selbst den Trainer des FC Bayern verabschiedete er freundlich mit einem „Tschüs!“ aus dem Premiere-Konferenztalk, dabei hatte Ottmar Hitzfeld zwei Wochen vor dem Bremer Auftritt in München alles versucht, den Sechs-Punkte-Vorsprung der Bremer klitzeklein zu reden.

Auf dem Platz war zwischen dem VfL Bochum und dem SV Werder Bremen von heiterer Gelassenheit hingegen wenig zu spüren. Gar tragisch endete die Partei für Krisztian Lisztes, der sich einen Riss des vorderen Kreuzbandes im linken Knie zuzog und voraussichtlich sechs Monate wird pausieren müssen, sowie für Bochums vielbeinigen Abräumer Raymond „Shiva“ Kalla, der mit einem Muskelfaserriss vom Platz getragen wurde.

Dabei hatten die Bremer Meisterschaftsfavoriten gegen den Überraschungsfünften aus dem Revier hinten bereits vor der Partie umbauen müssen. Vor allem den gesperrten Abwehrstrategen Ismael galt es zu ersetzen, was Werder-Kapitän Frank Baumann kaum gelang. Dafür blieb im Werder-Sturm alles beim Alten: Ailton und Klasnic blieben trotz der besten Möglichkeiten beide torlos.

Dabei trug die allgemeine Torvermeidung schon slapstickartige Züge: Denn nur Unvermögen verhinderte die Treffer in einem rasanten Spiel kapitaler Torchancen. Hüben wie drüben scheiterten die Stürmer aus allen Lagen. Allein Bremens Ailton hatte das Führungstor dreimal auf dem Fuß, schoss aber entweder Bochums erneut famosen Keeper Rein Van Duijnhoven an, traf die Latte oder zwiebelte den Ball am langen Pfosten vorbei.

Dem wollten die Bochumer in nichts nachstehen: Delron Buckley und Momo Diabang, die die gesperrten Stürmer Freier und Madsen höchst unwürdig vertraten, trafen keinmal das Tor. Diabang gelang sogar ein historischer Lapsus: Er drosch einen Torschuss über die 15 Meter hohe Ostkurve auf die Castroper Straße. So musste sich Bremens Torwart Andreas Reinke in 90 Minuten nur einmal in einen gut gezielten Weitschuss von Sören Colding werfen.

Die Gelassenheit ihrer Trainer hätte also auch den Chancenvernichtern gut zu Gesicht gestanden, vor allem außerhalb des Spielfeldes. Als er in der 69. Minute vom Platz musste, pfefferte Ailton eine Trainingsjacke in die Coaching-Zone und trat kräftig gegen einen Verbandskoffer. Und auch Fabian Ernst, aufgrund seiner fünften gelben Karte beim Derby nächstes Wochenende gegen den Hamburger SV gesperrt, war die Nonchalance abhanden gekommen. Obwohl der VfL wirklich bemüht mitspielte, sah Ernst einen Gegner, der „sich hinten reinstellt und ein 0:0 gegen uns wie einen Sieg feiert“. Das hätte er freilich auch seinem Trainer vorwerfen können.

Der immerhin verteilte hinterher ein „großes Lob“ an seine Mannschaft: „Das, was wir in der zweiten Halbzeit gespielt haben, das war schon klasse.“ Und verblüffte dann mit seiner neuen Fußball-Arithmetik: Sein Team habe heute 99 Prozent seines Leistungsvermögens abgerufen. „Nur ein Prozent hat uns gefehlt – und das sind die Tore.“ Mit Blick auf die Jubelszenen unter den Bochumer und Bremer Fußballfans reichen anscheinend auch 99 Prozent aus, einen schönen Fußballabend feiern zu können. Streetwise wie ein Rapper wusste das auch Thomas Schaaf: „Die Zuschauer waren die großen Gewinner in Bochum.“

CHRISTOPH SCHURIAN