Belgrad kooperiert mit Den Haag

Serbien hat mehrere mutmaßliche Kriegsverbrecher an das Tribunal ausgeliefert. Den USA reicht das noch nicht, denn General Mladić ist noch flüchtig. Sie drohen mit der Streichung der Wirtschaftshilfe. Kritiker fordern eine härtere Haltung der EU

von ERICH RATHFELDER

Die serbische Polizei macht weiterhin ernst damit, vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gesuchte Personen festzunehmen. Am Freitagabend stellte sie den ehemaligen serbischen Offizier Veselin Sljivancanin in seiner Belgrader Wohnung. Der 50-Jährige, der 1991 an einem Massaker in der damals von Serben eroberten kroatischen Stadt Vukovar teilgenommen haben soll, bei dem über 200 Personen ermordet wurden, hatte bis zuletzt erklärt, er wolle sich nicht kampflos und schon gar nicht lebend ergeben.

Tat er aber doch. Auch die wütenden Demonstrationen von Gesinnungsgenossen nützten nichts. Die Regierung Serbiens lässt sich nicht mehr von jenen einschüchtern, die jegliche Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ablehnen. Mit beigetragen zu dieser festen Haltung hat allerdings die Drohung der USA, die Finanzhilfen für Serbien zu streichen, sollten die Beschuldigten bis zum 15. Juni nicht ausgeliefert werden. Nach der Festnahme Sljivancanins erklärte der Außenminister von Serbien und Montenegro sogleich, er hoffe nun, dass der US-Kongress eine positive Entscheidung fälle.

Doch nach wie vor ist einer der Hauptverantwortlichen der serbischen Kriegsverbrechen in Bosnien und Herzegowina, der ehemalige Oberkommandierende der serbisch-bosnischen Truppen, General Ratko Mladić, flüchtig. Und sich verdichtende Informationen der Geheimdienste, Mladić halte sich weiter in Serbien auf und werde durch die Armee geschützt, lassen die USA noch zögern. Zwar könnte eine erste Marge der Finanzhilfen ausbezahlt werden, heißt es aus diplomatischen Kreisen in Belgrad, die USA würden jedoch ihren diplomatischen Druck weiter aufrechterhalten.

Immerhin: Wesentliche Schritte sind gemacht, um die Bastionen der mit den mutmaßlichen Kriegsverbrechern vermischten Szene aus Kriminellen, Polizisten, Spezialeinheiten der Armee und der Polizei, Vertretern des alten Milošević-Systems, Kriegsprofiteuren und Geschäftemachern aller Art zu brechen. Die nach dem Schock der Ermordung von Zoran Djindjić im März dieses Jahres gebildete Regierung unter Premierminister Zoran Ziviković ist nicht nur gegen eine Verbrechergruppe mit dem Namen Zemun-Clan vorgegangen, die hinter der Ermordung des Premierministers stecken soll. Sie nahm auch tausende von Menschen fest, die in dieser Szene involviert sind. Sie hat mit der kürzlich erfolgten Auslieferung des ehemaligen Geheimdienstchefs Jovica Stanisić und des ehemaligen Kommandeurs der Sondertruppen des Innenministeriums, Franko Simatović, nach Den Haag wichtige Eckpfeiler dieser Szene aus dem Verkehr gezogen. Beide sind jetzt wegen Verbrechen in Kroatien und Bosnien angeklagt. Nach Auffassung der Ankläger haben sie an Vertreibungen, Morden und an Folterungen mitgewirkt. Die „Frankie-Boys“, wie die Sondertruppen im Kosovo genannt wurden, haben auch dort ihre Blutspur hinterlassen. Beide waren in der Milošević-Zeit willfährige Werkzeuge der Kriegspolitik, wenngleich Stanisić sich 1998 umorientierte und versuchte, Kontakte zur damaligen Opposition herzustellen.

Dass zumindest der ehemalige Geheimdienstchef zu dem Kreis gehören soll, der dem ermordeten Zoran Djindjić half, das alte Regime zu stürzen, zeigt, dass auch nach dem Sturz Miloševićs die Verbindungen dieser Szene nach oben funktionierten. Spätestens seit Stanisić und Simatović ausgeliefert wurden, zeigte die neue Regierung aber, dass sie nicht mehr selektiv vorgehen will. Viele Stimmen in Belgrad bleiben zwar misstrauisch und gehen zwar davon aus, dass einige Verbrecherclans noch immer Verbindungen zur Macht halten. Doch die politische Entwicklung scheint ihre eigene Dynamik zu entfalten.

Dem neuen Premier Zivković kommt zugute, dass er sich auf eine eigene Hausmacht aus seiner Heimatstadt Nis stützen kann. Die Sondertruppen aus dieser Region waren es, die ihren Kollegen aus Belgrad das Handwerk legten. Ob es ihm aber gelingen kann, im Falle Ratko Mladić’ die Armee auf sich zu verpflichten, bleibt für viele Beobachter noch fraglich. Kritische Stimmen aus Belgrad fordern daher von der EU, wie die USA gegenüber der Regierung kompromissloser aufzutreten.