„Auf Werte können wir uns besser berufen“

In Europas Verfassungsentwurf gilt Geschlechtergleichheit als Grundwert – auch dank der EU-Abgeordneten Breyer

taz: Im ersten Entwurf der europäischen Verfassung war von Geschlechtergerechtigkeit überhaupt keine Rede. In welcher Verfassung sind Europas Frauen nun?

Hiltrud Breyer: In deutlich besserer. Im ersten Entwurf war Europa für Frauen ein Niemandsland. Im nun vorliegenden Entwurf ist die Gleichheit der Geschlechter an verschiedenen Stellen eingefügt worden. Das Wichtigste dabei ist, dass Gleichheit in letzter Minute noch in die Aufzählung der „Werte“ der Gemeinschaft aufgenommen wurde, die im ersten Teil aufgeführt werden – wie Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte. Vorher hatte man die Gleichheit nur als Beschreibung der EU-Gesellschaften hineingeschrieben. Auf Werte können wir uns besser berufen.

Wofür ist diese Unterscheidung wichtig?

Mit der Beschreibungs-Variante wären Sanktionsmöglichkeiten ausgeschlossen gewesen. Das ist etwa für die Beitrittsländer relevant. Wenn deren Gesellschaften von Ungleichheit zwischen Männern und Frauen geprägt sind, dann trifft eine bloße Beschreibung auf sie eben nicht zu – ohne Konsequenzen. Doch wenn ein zentraler Wert „Gleichheit“ verletzt ist, kann man sich nicht so leicht aus der Affäre ziehen. Die Türkei etwa gibt sich im Moment alle Mühe, den Anforderungen der Union zu entsprechen. Dass aber 25 Prozent der Mädchen dort weder lesen noch schreiben können, im Vergleich zu 6 Prozent der Männer, spielt bei der Beitrittsdebatte keine Rolle. Das wird mit Gleichheit als zentralem Wert anders.

Nun gibt es ja ohnehin schon viele Richtlinien, in denen Diskriminierungen genauestens verboten werden. Reicht das nicht?

Die bestehenden Richtlinien bleiben, aber für zukünftige Richtlinien braucht es ein starkes Fundament in der Verfassung.

Die EU war immer Vorreiter in Sachen Geschlechter-Check aller Vorhaben, Gender Mainstreaming genannt. Gibt’s das noch?

Auch das haben wir in den Entwurf erst hineinverhandelt. Unter den „allgemein anwendbaren Bestimmungen“ heißt es, dass die Union bei allen Tätigkeiten darauf hinwirkt, „Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern“. Das ist Gender Mainstreaming und macht Frauenpolitik zur Querschnittsaufgabe für alle. Das ist ein Riesenerfolg.

Wie kommt es, dass auch davon nichts im ersten Entwurf stand? Die EU hat doch das Gender Mainstreaming geradezu erfunden.

Der Konvent bestand zu 83 Prozent aus Männern. Das Konventspräsidium aus 12 Männern und einer Frau und auch der Präsident ist ein Mann.

Gab es keine Quote?

Nein. Auch das würde ich gern noch in der Verfassung sehen: Dass Frauen auch ein Recht auf paritätische Repräsentation und Teilhabe an politischen Entscheidungen haben. Das hat Frankreich für seine Wahllisten beschlossen. Warum soll die EU das nicht können? In der Verfassung hat man es dagegen noch nicht mal geschafft, durchgängig eine geschlechtsneutrale Sprache zu nutzen.

Kaum Frauen im Konvent, im ersten Verfassungsentwurf sind sie kein Thema. Zeigt der Konvent den Stand der Gleichstellung in der EU?

Eigentlich schon. Aber in letzter Zeit gibt es immense Fortschritte. Die neue Gleichstellungsrichtlinie ist ein Meilenstein in der Geschichte der Frauenrechte in Europa. Weit über die deutsche Gesetzgebung hinausgehend werden die Rechte der Frauen und Eltern am Arbeitsplatz deutlich gestärkt.

War es schwierig, diesen Konvent nachträglich zu gendern?

Durch die Mobilisierung und das Engagement von Frauen in ganz Europa wurde klar, dass eine Verfassung, in der Frauen nicht vorkommen, Frauen auch nicht ansprechen oder begeistern kann. Zudem zog als Argument, dass geschlechterpolitisch extrem fortschrittliche Länder wie die Skandinaviens teils Volksabstimmungen über die Verfassung durchführen. Die hätten so einen Entwurf nicht passieren lassen.

INTERVIEW: HEIDE OESTREICH