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Archiv-Artikel

Keine Spur von Selbstkritik bei der ÖVP

Nach dem Sieg des Sozialdemokraten Heinz Fischer bei den österreichischen Präsidentenwahlen möchten Mitglieder der Regierungspartei ÖVP die Kompetenzen des Amtes einschränken. Der Freiheitliche Jörg Haider will es am liebsten abschaffen

AUS WIEN RALF LEONHARD

Mit bitterer Miene verkündete Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) Sonntagabend das vorläufige Endergebnis der Bundespräsidentenwahlen. Der Sozialdemokrat Heinz Fischer hatte sich mit 52,41 Prozent der Stimmen doch klar gegen die ÖVP-Kandidatin Benita Ferrero-Waldner (47,59) durchgesetzt. Sie bleibt Außenministerin. Fischer, Zweiter Präsident des Nationalrats, wird am 8. Juli von seinem Vorgänger Thomas Klestil vereidigt.

Die Analysen geben den Politstrategen einigen Stoff zum Nachdenken: Obwohl Ferrero-Waldner an die Solidarität ihrer Geschlechtsgenossinnen appelliert hatte, stimmte nur jede zweite Frau für sie. Die Wahl wurde also von den Männern entschieden. Und der SPÖ ist es viel besser gelungen, ihre Wähler zu mobilisieren. Die niedrige Beteiligung von christdemokratischen und besonders freiheitlichen Wählern hat sich auch in der hohen Enthaltung von fast 30 Prozent niedergeschlagen.

Besonders klar wurde, dass die Trennlinien nicht nur zwischen urbaner (SPÖ) und ländlicher (ÖVP) Bevölkerung, sondern auch zwischen Ost und West verlaufen. Während die ÖVP-Kandidatin in den Alpenländern Vorarlberg, Tirol, Salzburg und Kärnten vorne lag, fiel der Osten an Fischer. Sogar in den ÖVP-Hochburgen Niederösterreich und Steiermark siegte er.

Nirgends ist der Wahlsieg von Heinz Fischer aber deutlicher ausgefallen als in Wien. Dort verpasste er mit 65 Prozent die Zweidrittelmehrheit nur knapp. Wiens Bürgermeister Michael Häupl zeigte sich euphorisch. Er sieht eine Bestätigung des Trends, den die letzten Sonntagsfragen andeuten: „Schwarz-Blau hat keine Mehrheit mehr in Österreich.“ Für Kanzler Wolfgang Schüssel ergebe sich Handlungsbedarf: „Ferrero-Waldner war die Regierungskandidatin, es war eine Niederlage der Regierung – daraus sollte die Regierung Konsequenzen ziehen.“

Von selbstkritischen Überlegungen ist die ÖVP aber meilenweit entfernt. Der Bundeskanzler feierte seine Kandidatin, als hätte sie gewonnen, und qualifizierte den Rivalen ab. „Ich glaube, dass er ein Kandidat ist, der hineinwachsen wird in diese Rolle.“ Elisabeth Gehrer, Bildungsministerin und Vizeparteichefin, regte an, die Funktionen des Präsidenten einzuschränken.

Weiter geht die FPÖ. Jörg Haider denkt wieder über die völlige Abschaffung des Amtes nach. Vizekanzler Hubert Gorbach (FPÖ) schwebt das Schweizer Rotationsmodell vor. Politologen bestätigen, dass das Amt seit Kurt Waldheim (1986–1992) gelitten hat. Thomas Klestil, der ein starker Präsident sein wollte, musste die Grenzen seiner Macht erkennen, als 2000 ÖVP und FPÖ gegen seinen Willen koalierten.

Dem Verfassungsrechtler Heinz Fischer werden solche Missgeschicke kaum passieren. Sein Engagement für Neutralität und Sozialstaat ist bekannt. Er will sich nicht in die Tagespolitik einmischen, aber den Kontakt mit Wissenschaft und Kultur pflegen, um Themen und Ideen in die Diskussion zu bringen, die die Parteien vernachlässigen, weil sie keine Stimmen bringen.