beiseite
: 17.-Juni-Literatur

Im Schnellverfall

Bisweilen drängt sich der Eindruck auf, dass den ausgiebigen 17.-Juni-Erinnerungen nicht zuletzt ein schlechtes Gewissen zugrunde liegt. Schließlich wurde der Tag erst „zur Volkserhebung verfälscht und zum Feiertag verklärt, wobei es im Westen bei jeder Abfeier mehr und mehr Verkehrstote gab“, so Günter Grass in „Mein Jahrhundert“, um nach der Wende nicht mal mehr zum Feiertag zu taugen.

Wie dem 17. Juni erging es der sich mit dem Aufstand beschäftigenden Belletristik. Diese Bücher gelten eher als Marginalien denn als Meisterwerke. Etwa Stephan Hermelins 1954 entstandene Novelle „Die Kommandeuse“, in der eine ehemalige KZ-Aufseherin am 17. Juni erst befreit und später von den Sowjets hingerichtet wird; Anna Seghers’ 17.-Juni-Roman „Das Vertrauen“ von 1968; Gerhard Zwerenz’ 1959 veröffentlichter Roman „Liebe der toten Männer“, in dem ein alter Kommunist während des Aufstands in schwere Gewissenskonflikte gerät; oder Stefan Heyms Roman „Fünf Tage im Juni“, den Heym 1958 fertigstellte, der in der DDR verboten wurde und 1974 in Westdeutschland erschien. Hier verliert der Kommunist und Gewerkschaftsfunktionär Witte seinen Posten, stellt sich dann auf die Seite der SED und sieht überall westliche Agenten am Werk.

Alle diese Bücher weisen die gern eingeforderte, aber selten eingelöste „Welthaltigkeit“ auf; leider sind sie aber mehr plakativ als literarisch, Hermelins Buch diente gar staatlicher Propaganda. So werden sie nach dem heutigen Tag schnell wieder der Vergessenheit anheim fallen – selbst Günter Grass’ Theaterstück von 1966, „Die Plebejer proben den Aufstand“: Nicht mal zu einer Wiederaufführung hat es in diesen erinnerungsseligen Tagen gereicht. GERRIT BARTELS