Der dritte Mann

„Eindeutige Notwehr“: Amtsgericht lehnt Anklage gegen polizeilichen Todesschützen wegen fahrlässiger Tötung eines Einbrechers ab. Staatsanwaltschaft geht in Berufung

Die tödlichen Schüsse des Polizisten Wolfgang S. (41) in den Rücken des vermeintlichen Einbrechers Julio V. (25) am Heiligabend 2002 in Uhlenhorst werden zum Politikum. Nach mehrmonatigem internen Ringen hatte die Staatsanwaltschaft gegen den Beamten Anfang des Jahres Anklage wegen „fahrlässiger Tötung“ erhoben. Das Amtsgericht hat gestern die Eröffnung dieses Hauptverfahrens abgelehnt.

„Nach der Einlassung des Angeklagten ist der Schuss nach Auffassung des Gerichts als Notwehr gerechtfertigt gewesen“, begründet Gerichtssprecherin Sabine Westphalen die Entscheidung. Rüdiger Bagger, Sprecher der Staatsanwaltschaft, kontert: „Wir haben sofortige Beschwerde beim Landgericht eingelegt.“

Bei einem Einsatz wegen Einbruchs am Heiligabend 2002 war der Beamte S. ohne seinen Kollegen ins Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses gestürmt. Plötzlich fielen Schüsse. Als S. zum Streifenwagen zurückkam, fragte er seinen Kollegen: „Is' er ex?“ Während S. angeblich monatelang vernehmungsunfähig war, erklärte der damalige Innensenator Ronald Schill noch in der Nacht nach einem Plausch mit dem Schützen, es handele sich „eindeutig um Notwehr“.

Die Mordkommission ermittelte dennoch wegen Totschlags. Denn die Tatortspuren widerlegten im Wesentlichen die Version, dass S. im dunklen Flur auf V. getroffen war und aus Angst in Notwehr geschossen habe. Die unbewaffneten Täter waren bereits aus einem Fenster in den Hof gesprungen, als der Polizist aus dem Fenster heraus V. tödlich in den Rücken traf.

Trotzdem tat sich die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft schwer: Immer wieder wurde der Zeitpunkt der Anklageerhebung verschoben, in der Zwischenzeit verschwanden Funkprotokolle und andere wichtige Beweismittel. Nach Informationen der taz soll es in der Staatsanwaltschaft aufgrund des Drucks der Mordkommission, S. wegen Totschlags anzuklagen, zu Disputen gekommen sein. Das bestreitet Bagger jedoch: „Bei uns wird erörtert, beraten und vielleicht auch streitig diskutiert, es gibt aber keine Weisung.“

In seiner Einlassung hat Wolfgang S. nun eine Version präsentiert, die den Amtsrichter offenbar überzeugte. Er habe gar nicht den unbewaffneten V. treffen wollen, sondern dessen unbekannten Komplizen, der im Dunkeln die Hand erhoben habe. „Das alles passt nicht zusammen“, sagt Anwalt Manfred Getzmann, der V.s Familie vertritt und von Anfang an auf Totschlag plädiert hatte, über den nun das Landgericht zu entscheiden hat. „Aber bisher ist mir jegliche Akteneinsicht verwehrt worden.“ kai von appen