„Wir wissen noch eindeutig zu wenig“

Warnung vor gentechnisch veränderten Lebensmitteln: Die Ärztin Angela von Beesten vom Ökologischen Ärztebund informiert morgen Abend über die aktuellen Regelungen, jede Menge Unsicherheitsfaktoren und mögliche Gefahren

Bremen taz ■ Seit dieser Woche müssen genveränderte Lebensmittel als solche gekennzeichnet sein. Nur: Die Kennzeichnungspflicht gilt erst bei einem Anteil von genverändertem Material von 0,9 Prozent (siehe Kasten). Über die Risiken von Gentechnologie und die Feinheiten der Kennzeichnung informieren morgen die Ärztin Angela von Beesten vom Ökologischen Ärztebund und Theodora Plate von der Verbaucherzentrale (Kapitel 8, 20 Uhr). Im taz-Interview warnt von Beesten vor den noch viel zu wenig bekannten Folgen von Gentechnologie.

taz: Die Politik hat unter der Federführung von Renate Künast (B90/Grüne) eine Deklarationspflicht für Gen-Food vorgesehen. Was hat es dabei mit dem Schwellenwert von 0,9 Prozent auf sich und ist das ausreichend?

Angela von Beesten: Kommen bei dem Produktionsprozess unbeabsichtigte Spuren von gentechnisch veränderten Organismen in die Lebensmittel, so gelten diese bis zu einem Schwellenwert von 0,9 Prozent als gentechnikfrei. Dies, obwohl die wissenschaftliche Nachweisgrenze zur Zeit bei 0,1 Prozent liegt. Ist die Beifügung allerdings beabsichtigt, muss dies auch bei geringeren Mengen angegeben werden. Der Makel sind jedoch die 0,9 Prozent, die die von der Politik formulierte Wahlfreiheit und Transparenz für den Verbraucher vermissen lässt.

Sieht die jetzige Kennzeichnungsverordnung nicht auch eine Menge Ausnahmen vor?

Ja. Es sind unter anderem die Zusatzstoffe, die mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt werden, wie zum Beispiel der Farbstoff Riboflavin, auch unter dem Namen Vitamin B 2 bekannt. Auch der Geschmacksverstärker Glutamat gehört dazu. Gerade die Enzyme in Backmischungen und das Lab in Käse sind inzwischen mit gentechnischen Verfahren hergestellt.

Viele Leute nehmen täglich Vitamine und Mineralien in Brausetabletten zum Frühstück oder nach dem Sport zu sich. Heißt das, das ist auch schon Gen-Food ?

Ich gehe davon aus, dass es das gibt. In welchem Umfang kann zur Zeit noch niemand beantworten. Schlicht weil es dazu keine systematischen Untersuchungen gibt und diese Produktgruppe nicht gekennzeichnet werden musste. Im Internet werden viele Nahrungsergänzungsmittel über einen grauen Markt bezogen. Die Vitamine B 12, C, E und B 2 können in gentechnischen Verfahren hergestellt werden. Darin liegt ein großer Unsicherheitsfaktor.

Warum wehren Sie sich denn gegen diese möglichen Beimischungen? In den USA, wo es seit Jahren Gen-Food auf dem Teller gibt, scheint es damit keine Probleme zu geben, argumentieren Befürworter der Gentechnik.

Seit Soja gentechnisch hergestellt wird, gibt es in den USA eine starke Zunahme von Allergien bis zu 50 Prozent gegen Soja in Lebensmitteln. Zeitlich parallel kam gentechnisch verändertes Soja in die Lebensmittel. Da es jedoch kaum Begleitforschung gibt, geschweige denn von der Industrie unabhängige, kann man nicht von eindeutigen Belegen sprechen. Nur von Annahmen.

Was sagen Wissenschaftler in den USA dazu?

Da scheint großenteils ein unterschiedliches Verständnis im Ernährungsbereich vorhanden. Ja, selbst Wissenschaftler in den USA sprechen von einem Großversuch an der Bevölkerung und sehen dabei keine Gefahr. Aber da keine Untersuchungen dazu stattfinden, kann man auch keine Aussagen über die Folgen machen.

Gibt es Indizien, die für eine negative Entwicklung sprechen?

Bedenklich stimmt, dass 65 Prozent der amerikanischen Bevölkerung übergewichtig sind. Wir schaffen die Volksgesundheit zugunsten von industrieller Lebensmittelproduktion ab. Und die Gentechnik ist der Gipfel dieser Entwicklung. Die gesündeste Ernährung, das wissen auch die Wissenschaftler im Bereich der Gentechnik, ist die Ernährung mit viel Frischkost. Am gesündesten waren die Menschen in der Nachkriegszeit, als sie ihr Gemüse und Obst noch selbst anbauten.

Was können Sie den Konsumenten zur Zeit empfehlen ?

Sich wenn möglich nicht einem Versuch einer risikoreichen Großtechnologie auszusetzen und diese Produkte komplett zu meiden. Wir wissen noch eindeutig zu wenig über die Folgen. Den europäischen Reichtum einer gentechnikfreien Landwirtschaft gilt es zu bewahren.

Interview: Chris Kupka