Feldzug gegen den inneren Feind

Marokkos Regierung greift einen Monat nach den Terroranschlägen von Casablanca gegen Islamisten durch. Der kurze Traum der Liberalisierung nach dem Thronwechsel scheint ausgeträumt. Aber die Wurzeln des radikalen Islamismus bleiben intakt

von REINER WANDLER

„Das Ende der Laschheit“ versprach Marokkos König Mohammed VI. nach den Attentaten von Casablanca, die vor einem Monat 43 Menschen das Leben kosteten. Und er macht Ernst. Täglich werden in Marokko neue Islamistenzellen ausgehoben. Dutzende Verdächtige sitzen im Gefängnis. Die Ermittlungen reichen bis nach Frankreich und Spanien.

Bei den Verhaftungswellen kommt ein neues Anti-Terror-Gesetz zur Anwendung. Das eiligst zusammengeschusterte Paragraphenwerk wurde nur fünf Tage nach den Anschlägen vom Parlament verabschiedet. Danach werden die Strafen für Terroristen drastisch erhöht. Der Polizei ist es künftig erlaubt, Verdächtige ohne richterlichen Haftbefehl für bis zu vier Tagen festzunehmen, doppelt so lang wie bisher. Hausdurchsuchungen werden erleichtert. Die Banken werden per Gesetz dazu verpflichtet, beim Kampf gegen den Terrorismus mitzuwirken und verdächtige Überweisungen zu melden. Nach dem neuen Gesetz wird auch die Billigung von Terror-Akten unter Strafe gestellt.

Amine Abdelhamid ist einer der wenigen, der sich traut, das neue Gesetz offen zu kritisieren. „Das neue Gesetz ist überflüssig“, beschwert sich der Vorsitzende der Marokkanischen Vereinigung für Menschenrechte (AMDH) und nennt es einen „Rückschritt“.

Bei den Politikern im Parlament wird solche Kritik nicht wahrgenommen. Hartes Durchgreifen ist nach den Anschlägen populär. 96 Prozent der Einwohner von Casablanca sind laut Umfragen mit dem neuen Gesetz einverstanden.

Nun droht der gesamte Demokratisierungsprozess in Marokko zum Erliegen zu kommen. Vor allem die Debatte, ob die gemäßigten Islamisten der „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (PJD) ins politische System eingebunden werden können, war mit den Bomben abrupt zu Ende. „Die Sicherheitsbehörden, die immer für eine Unterdrückung der Islamisten eintraten, haben sich durchgesetzt“, erklärt der Politikprofessor und Islamismusspezialist an der Universität Mohamedia bei Casablanca, Mohamed Darfi. Er befürchtet, dass ähnlich wie im benachbarten Algerien künftig diejenigen das Wort haben, die politische Gegner auslöschen wollen – „éradicateurs“ werden sie genannt.

Wie sehr sich die Gegner jedweden Dialogs mit auch noch so gemäßigten Islamisten im Aufwind befinden, zeigte die Demonstration in Casablanca gegen den Terror kurz nach den Anschlägen. Die PJD, immerhin die größte Oppositionspartei im Parlament, war von diesem Protestzug, zu dem einen Million Menschen kamen, ausgeschlossen. Und das, obwohl sie die Anschläge verurteilt hatte.

So wird deutlich, was viele längst befürchteten: Marokko ist ein tief gespaltenes Land. Zwar bilden den harten Kern der radikalen Salafisten, aus deren Reihen die Anschläge vorbereitet wurden, nur ein paar hundert Mann, die meist in Saudi-Arabien Theologie oder in Afghanistan bei den Taliban das Kriegshandwerk studiert haben. Doch die extreme Armut rund um die großen Städte verschafft ihnen Sympathisanten. Bei einer Umfrage wenige Tage nach den Anschlägen erklärte trotz der angespannten Lage bei einer Umfrage jeder fünfte Marokkaner, Ussama Bin Laden, dessen Al-Qaida wahrscheinlich bei der Logistik der Bombenserie behilflich war, zu einem „guten Muslim“.

Angesichts der Tatsache, dass es in den armen Vororten Casablancas Jugendliche gibt, die bereit sind, als Selbstmordattentäter zu sterben, fragt die Zeitung Le Matin: „Ist das nicht der Ausdruck des Scheiterns der politischen Parteien und der Bildungspolitik?“ Die Tageszeitung, die als offizielles Sprachrohr fungiert, fordert „Selbstkritik“. Doch für einen effektiven Kampf gegen die Armut – 30 Prozent der Marokkaner sind offiziell arbeitslos und 56 Prozent Analphabeten – fehlt es an Geld. Schuldendienst und Verwaltung schlucken 80 Prozent des Haushaltes.

Die Anschläge dürften die wirtschaftliche und soziale Lage Marokkos noch verschlimmern. Die Prognose eines Wirtschaftswachstums von 6 Prozent musste bereits auf die Hälfte herunterkorrigiert werden. Die Tourismusbranche erlebt einen Einbruch, und während Marokko zuletzt eines der attraktivsten Ziele für Auslandsinvestitionen in Afrika war, fragen sich viele westliche Unternehmen jetzt, ob sie ihre Investitionen wirklich ausbauen sollen. Kurz nach den Anschlägen machte eine Hollywoodproduktion in Marokko negative Schlagzeilen: Die Dreharbeiten zum Monumentalfilm „Alexander der Große“ in Marokko wurden abgebrochen und sollen nun anderswo wieder aufgenommen werden.