Die letzten Rächer der Vertriebenen

Eiertanz um die EU-Erweiterungsfeiern in Sachsen. CDU-Regierung müsste sie laut Landtagsbeschluss boykottieren

DRESDEN taz ■ Die Unterzeichnung eines Kooperationsvertrages mit den benachbarten drei nordböhmischen Regionalparlamenten hatte sich Sachsens Landtagspräsident Erich Iltgen (CDU) kamerawirksam vorgestellt. Gemeinsam mit den Präsidenten dieser Bezirksregierungen, den so genannten Hetmans, wollte er am 1. Mai symbolisch einen Schlagbaum an der sächsisch-tschechischen Grenze niederreißen.

Nicht einmal zu diesem Akt guten Willens, zu einer Deklaration weit unterhalb eines Staatsvertrages wird es jedoch kommen. Wohl besuchte der Landtagspräsident in den letzten Wochen die Bezirkshauptstädte Liberec, Ústí und Karlovy Vary. Er erwiderte damit den Besuch der drei Hetmans in Dresden, die diese Zusammenarbeit angeregt hatten. Aber Iltgen kam mit leeren Händen. Der Europa-Arbeitskreis seiner eigenen CDU-Fraktion verweigert ihm den Rückhalt.

In einer ganze zwei Sätze umfassenden Stellungnahme des Arbeitskreisvorsitzenden Volker Schimpff wird die Zusammenarbeit mit den tschechischen Regionalversammlungen den Euroregionen zugewiesen. Schimpff sieht stattdessen das tschechische Parlament in Prag auf Augenhöhe. In der Tat gibt es wegen der unterschiedlichen föderalen Strukturen so etwas wie ein Kompatibilitätsproblem zwischen den Kontaktebenen.

Eitlen sächsischen Parlamentariern ist ein böhmisches Regionalparlament eine Nummer zu klein, weil es wie deutsche Landkreistage keine Gesetzgebungskompetenz besitzt. Prag hingegen redet in erster Linie mit Berlin und verweist die Bundesländer an die Regionen. Ein nordböhmischer Hetman wiederum kann einen sächsischen Regierungspräsidenten nur bedingt akzeptieren. Denn er ist vom Volke gewählt, jener aber nur Beamter. Dennoch hat es zwischen Karlovy Vary und dem Regierungspräsidium Chemnitz bereits einen beispielhaften Vertrag gegeben. Oppositionsvertreter im Europaausschuss des Sächsischen Landtages betrachten solche Einwände daher nur als Vorwand. „Die CDU will nicht“, beobachten Peter Adler von der SPD und Heiko Kosel von der PDS übereinstimmend.

Warum sollte die CDU-Fraktion auch von ihrem nach wie vor gültigen Landtagsbeschluss aus dem Juni 2002 abweichen? Er richtete sich vor allem gegen die Dekrete des früheren Prager Ministerpräsidenten Beneš, mit denen nach Kriegsende Enteignung und Vertreibung legalisiert worden waren. „Alle Beitrittsländer müssen vor dem Beitritt diese Akte, die gegen die Menschenrechte verstoßen, aus der Welt schaffen“, heißt es darin.

Der Landtagsbeschluss ist nie dem Bundesrat angetragen worden, bringt aber jetzt die Exekutive in Verlegenheit.

Streng genommen müsste die sächsische Staatsregierung den bevorstehenden Beitritts-Jubelfeiern demonstrativ fern bleiben, hielte sie sich an Landtagsbeschlüsse. Die tschechische Seite reagierte schon vor zwei Jahren scharf. Das Prager Parlament würdigte später per Gesetz die Verdienste von Beneš.

Der Sorbe Heiko Kosel vermutet, dass hinter den CDU-Nadelstichen die Spekulation auf Vertriebenenstimmen bei der im September anstehenden Landtagswahl steht. Schimpffs Aufforderung an die Tschechen zur Zusammenarbeit mit den Euroregionen hält er für lächerlich, da diese längst grenzüberschreitend läuft und einer Zusammenarbeit mit sich selbst gleichkäme.

Volker Schimpff, der im Landtag schon mit schwarz-rot-goldenen Hosenträgern erschien, war zu keiner Stellungnahme bereit. Der Mann mit den pangermanischen Untertönen hat inzwischen den Paneuropäismus entdeckt. In der jüngsten Landtagsdebatte sprach er von einer „großeuropäischen Identität“.

MICHAEL BARTSCH