Angst vor Eiferern

Sunniten und Schiiten feiern den Abzug der Spanier. Doch viele Stimmen ziehen die US-Truppen den Radikalen vor

BAGDAD taz ■ Das spanische Militär hat gestern Morgen seine letzten Soldaten aus der irakischen Stadt Nadschaf abgezogen. Die insgesamt 1.432 Soldaten befinden sich nun auf dem Stützpunkt Diwanija, teilte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Madrid mit. Die spanischen Soldaten in Nadschaf wurden durch US-Soldaten ersetzt.

Politisch mag der Truppenabzug Spaniens sowie ähnliche Pläne Honduras’ und der Dominikanischen Republik für die Bush-Administration eine Schlappe sein. Militärisch ist seine Bedeutung weitaus weniger bedeutend. Es gebe genügend Zeit, um die Lücke durch andere Kontingente zu schließen, sagte Brigadegeneral Mark Kimmitt. Für 20.000 Soldaten, die in diesem Monat abgezogen werden sollten, kam in buchstäblich letzter Minute der Befehl für eine Verlängerung ihres Dienstes um drei Monate. Darüber hinaus plant man im Pentagon eine Verstärkung der Truppen über den 30. Juni hinaus. Statt der geplanten Reduzierung auf 110.000 will man bis Ende des Jahres bis zu 135.000 Soldaten stationieren.

Radikale Sunniten wie Schiiten sehen in der Entscheidung Spaniens ein Zeichen für den Erfolg ihrer kompromisslosen Haltung. Nichts mehr fürchten hingegen die Gegner der Radikalen. Obwohl die kritischen Stimmen gegenüber den Amerikanern vor allem wegen des Vorgehens der Marines in Falludscha in den vergangenen Wochen zugenommen haben, sind die Stimmen, die in Bagdad den sofortigen Abzug der US-Truppen fordern, weiterhin in der Minderheit. Gerade unter den Gebildeten und dem gerade neu entstehenden Mittelstand ist die Angst groß, unter die Knute eines Eiferers wie Muktada al-Sadr oder der sunnitischen Dschihad-Kämpfer zu geraten. Sadr hat am Freitag mit Selbstmordattentaten gegen die Besetzer gedroht. Bei einem Überfall seiner Miliz in Kerbela ist am Freitag ein bulgarischer Soldat getötet worden.

Schwer wiegender für die Amerikaner ist das Scheitern beim Aufbau der irakischen Sicherheitskräfte. Nach Angaben von Brigadegeneral Martin E. Dempsey ist bislang nur die Hälfte der irakischen Polizisten und des paramilitärischen Zivilverteidigungskorps (ICDC) in Krisensituationen einsatzfähig. Während der Auseinandersetzungen mit den Sadr-Milizen und in Falludscha konnte man ein bewährtes Muster beobachten: Die Sicherheitskräfte verschwanden in der Versenkung, manche wechselten gar die Fronten. In Falludscha waren in mindestens drei Fällen Mitglieder des ICDC und der Polizei an Morden an Amerikanern und Überfällen auf die Polizeiwache beteiligt. Es ist aber nicht nur mangelnde Disziplin, die die Sicherheitskräfte vom Dienst abhält. Auch nach einem Jahr ist ihre Ausbildung und Ausrüstung ungenügend. Zudem ist bei vielen die Loyalität gegenüber dem eigenen Stamm oder der favorisierten Partei höher als gegenüber der eigenen Institution. Darüber hinaus sorgt das harte Vorgehen der Amerikaner und der mangelnde Einfluss auf der Befehlsebene für Unmut.

Die Amerikaner wollen dem mit einer Abschwächung der Entbaathifizierungspolitik begegnen. Gemäß der neuen Richtlinien sollen hochrangige Offiziere aus der im vergangenen Jahr aufgelösten Armee in die neue Armee übernommen werden. Darüber hinaus sollen ehemalige Baathisten wieder in die Verwaltung integriert werden. Damit soll besonders den Sunniten eine Perspektive geboten werden, unter denen durch den Machtverlust der Widerstand gegen die Besetzung besonders stark ist. Bei den Gegner des alten Regimes ist der Beschluss indes auf harsche Kritik gestoßen. Nicht wenige befürchten eine Rückkehr in alte Zeiten. Ahmed Chalabi, Leiter der Entbaathifizierungskommission, sagte, das wäre, als würde man in Deutschland die Nazis wieder an die Macht bringen. INGA ROGG