Kritische Masse Kurzfilm

Die Oberhausener Kurzfilmtage blicken bei drei Programmen auch prospektiv in die Zukunft. Es gibt einen Widerspruch zwischen dem Anstieg der Produktionen und einem kleiner werdenden Markt

VON STEFAN ORTMANN

Der Kurzfilm findet nur noch wenig Beachtung in der öffentlichen Wahrnehmung. Zu Unrecht. In Oberhausen werden schon ein halbes Jahrhundert lang kurze Filme angepriesen. Doch endgültig Erwachsen werden will der Kurzfilm nicht.

Vom 29. April bis 4. Mai finden die 50. Internationalen Oberhausener Kurzfilmtage statt. Im Kino Lichtburg präsentiert das weltweit renommierte Festival die filmische Vielfalt der kurzen Form. Zum ersten Mal in der Geschichte der Kurzfilmtage wurden über 5000 Beiträge eingereicht. Unter Filmkünstlern ist der Kurzfilm populär. Doch im Kino oder Fernsehen sieht man ihn kaum. Schon jetzt sind Festivals die letzten großen Spielstätten für kurze Filme. „Die Festivals funktionieren als Bühne für Filme, die gar nicht mehr ins Kino gelangen, nicht als Schnittstelle zum Kino, sondern als eine Art Theaterbühne“, sagt Festivalleiter Lars Henrik Gass. Zudem gebe es einen konkreten Widerspruch zwischen dem unglaublichen Anstieg der Produktionen und einem immer kleiner werdenden Markt. Eine Erklärung sei, dass die wirtschaftliche Relevanz des Kurzfilms nicht mehr in der unmittelbaren Verwertung bestünde und das sei das Entscheidende. „Ob der Kurzfilm aus dem Kino verschwindet, ist mir wirklich gleichgültig“, bewertet Gass dieses Phänomen. Der Kurzfilm sei rein statistisch kein Nischenphänomen mehr, wenn allein 5000 Beiträge eingereicht wurden. „Allein vom Volumen her ist er eine relevante Größe, eine kritische Masse des Kinos“, sagt der Festivalleiter. Auf der Leinwand werde der Kurzfilm bleiben bleiben und weiterhin funktionieren. Die Kernstücke des Festivals sind die vier Wettbewerbe. Im umfangreichsten Internationalen Wettbewerb konkurrieren 68 Beiträge um die Preise. Hauptsächlich werden Arbeiten aus den USA und Großbritannien gezeigt. Aber die Auswahl umfasst auch Kurzfilme aus kleineren Filmländern wie Aserbaidschan, Island, Kenia oder Kolumbien. Erstmalig sind zwei deutsche Werke auch im Internationalen Wettbewerb vertreten: „Mirror“ von Matthias Müller und Christoph Giradet und „On a Wednesday Night in Tokyo“ von Jan Verbeek. Der Bielefelder Filmemacher Müller und der Videokünstler Girardet aus Langenhagen zeigen in ihrem neuesten Experimentalfilm kurz aufblitzende, fragmentarische Bilder. Zwei Digitalkameras wurden parallel gekoppelt und eine Spiegelachse zwischen den beiden Bildhälften erzeugt. Es entsteht eine gespenstische Szenerie, in der durchscheinende Personen wandeln. Der sechs Minuten kurze Film „On a Wednesday Night in Tokyo“ zeigt eine U-Bahn-Station im nächtlichen Tokio. Während des kurzen Aufenthaltes im Bahnhof drängen immer mehr Menschen in die Waggons. Wie in einer Sardinenbüchse harren sie aus, bis ein Bahnangestellter die letzten Fahrgäste mit Gewalt in die Wagen schiebt, damit sich die Türen schließen können. Der Videokünstler Verbeek zeigt seine amüsante Beobachtung aus dem Großstadtalltag Tokios in einer einzigen Einstellung. Auffallend viele Filmemacher wenden sich vermehrt politischen Themen zu. Erkennbar wird dies auch in der Programmierung der Festivalbeiträge im Internationalen Wettbewerb. „Wir bemühen uns Filme danach auszuwählen, ob sie interessante Fragestellungen haben, die nicht beliebig sind. So entsteht insgesamt der Eindruck, dass es sich um politischere Filme handelt. Damit meine ich keine Botschaften“, sagt Gass. Filme mit Botschaft seien entsetzlich. Politisch sei auch eine Arbeit wie „Dumnezeu la saxofon, dracu la vioara“ (D 2003) von Alexandra Gulea, welche die Zustände in einer Psychiatrie in Rumänien zeige – ohne einen Kommentar. Auch im Deutschen Wettbewerb erweist sich der Kurzfilm als äußerst lebendig. Es gab ebenfalls einen neuen Rekord bei der Zahl der Einreichungen. Von den 27 ausgewählten Produktionen sind auffallend viele Kurzfilme aus NRW. Viele Filmemacher möchten gerade im Jubiläumsjahr dabei sein und ihre Arbeiten präsentieren. Doch meistens sind diese Produktionen als Visitenkarten-Filme gedacht und wollen einen bestimmten handwerklichen Standard vorführen. „Das interessiert uns nicht“, sagt der Festivalchef. Beim diesjährigen MuVi-Preis wird das beste deutsche Musikvideo prämiert. Bei den Einsendungen zeigte sich ein Wandel vom Clip fürs Fernsehen zum immer länger werdenden filmischen Ausdrucksmittel der Künstler. Mit Videos vertreten sind unter anderem Wir sind Helden, Die Ärzte, International Pony, Chicks on Speed, The Streets und Kante.