„Was ist eine globale Katastrophe?“

Nach der Documenta-Präsentation vom vorigen Jahr kehrt das Park Fiction-Modell jetzt in einer Ausstellung nach St. Pauli zurück, begleitet von einem internationalen Kongress, der engagierte künstlerisch-ökologisch-soziologische Projekte vorstellt

Subtile Unterwanderung durch geschickte Netzwerk-Politik der Künstler Qualität der Urbanismus-Diskussion durch internationale Impulse steigern

von PETRA SCHELLEN

Die Abgrenzung von Kunst und Politik sei nicht entscheidend; wichtiger finden die Initiatoren die Chance aller, an Planungsprozessen mitzuwirken: In die erste Bauphase ist die Realisierung des Park Fiction Projekts getreten; die ersten Palmen wurden bereits installiert auf dem Gelände an der Reeperbahn, dessen Bebauungsplan – auf Anregung von Park Fiction – noch unter Rot-Grün nach mühsamem Ringen geändert wurde. Basis waren umfangreiche Anwohnerbefragungen gewesen, die Margit Czenki unter anderem in einem Film festgehalten hatte. „Interventionistische Anrainer“, „Infotainment“, „Tools/Planungswerkzeuge“, „Wunschproduktion“ und „In Bed with Burocracy“ lauten, so Mitorganisator Christoph Schäfer, die fünf Arbeitsbegriffe, denen fünf Pulte zugeordnet sind, die 2002 auf der Documenata XI zu sehen waren und die ab heute an ihrem Ursprungsort in St. Pauli gezeigt werden. Der Titel der Schau: Unlikely Encounters in Urban Space.

Über 100 Entwürfe und Zeichnungen hat Park Fiction – „kongruent mit der Ästhetik der 60-er-Jahre-Sprachlabors, der Zeit des misslungenen Bildungsaufbruchs“ – in die Pulte eingelassen. Berlin-Biennale-Direktorin Ute Meta-Bauer wird zur Eröffnung der Präsentation sprechen, die durch drei Dia-Shows, drei Video-Monitore und den stündlich gezeigten Film Margit Czenkis ergänzt wird. Guides aus dem Stadtteil – Erwachsene und Jugendliche – sollen außerdem durch die Ausstellung und über das Parkgelände führen.

Später soll ein Park Fiction-Archiv im umgebauten Planungscontainer hinzukommen, das die Documenta-Schau in komprimierter Form enthalten soll. „Von dort aus sollen auch Forschungsprojekte zum Urbanismus betrieben werden“, sagt Schäfer. Ein notwendiger Impuls, denn die europäische Urbanismus-Debatte erreiche derzeit nicht annähernd das Niveau etwa des Sarai Media Lab aus Delhi, dessen Protagonisten zum ausstellungsbegleitenden Kongress anreisen werden. „Shveta Farda, der dem Media Lab angehört, leitet zum Beispiel das Cyber Mohalla-Projekt, das in einer der selbst gebauten Stadtrandsiedlungen von Delhi arbeitet, die ständig vom Abriss bedroht sind. Farda, der den Jugendlichen dort nicht nur Computer-Unterricht gibt, sondern sie auch zu poetischen Beschreibungen ihrer Siedlungen inspiriert, wird hier einen Workshop mit Jugendlichen von der St. Pauli-Schule leiten.“

In einer Grauzone bewegt sich dieses Projekt ebenso wie die gleichfalls zum Kongress geladenen Maclovio Rojas aus Tijuana an der mexikanisch-nordamerikanischen Grenze: Über 1000 Familien, die an der Auswanderung gehindert wurden und dort hängen geblieben sind, leben in Siedlungen, die in den späten 80er Jahren gegründet wurden und ebenfalls im halb-legalen Raum existieren: „1997 haben Rojas, gegründet von zapatistischen Frauen aus dem Süden, dieses Land vom mexikanischen Staat gekauft. Trotzdem haben sie ständig Schwierigkeiten mit den lokalen Behörden, die sie der Landbesetzung bezichtigen und ihnen Verfahren anhängen wollen“, berichtet Schäfer. Bemerkenswert findet er die Netzwerkarbeit der Rojas, ebenso wie die Tatsache, dass sie sich im stetigen, subtilen Grauzonen-Verschieben üben und immerhin eine ihrer selbst organisierten Schulen bereits legalisiert haben.

Unauffällige Verbündungen mit verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen forcieren auch, ohne sich zu verkaufen, die Cantieri Isola und das Office for Urban Transformation aus Mailand. Sie residieren in einer alten Fabrik in einem intakten, gemischt bevölkerten Stadtteil, durch den künftig eine Einfallsstraße führen soll. Denn die Stadtplaner möchten – analog zur hiesigen Hafencity – Mailand durch ein Mode- und Designzentrum aufpeppen. „Künstler und Einwohner haben sich in dieser Fabrik niedergelassen und praktizieren ein tolerantes Zusammenleben – und seit unserem Besuch dort im März, bei dem wir Margit Czenkis Film gezeigt haben, gibt es dort auch ein ,Cinema Park Fiction‘“, erzählt Schäfer. Eine Etage der Fabrik, die zugunsten der neuen Straße abgerissen werden müsste, soll ein Kunstverein-artiges Areal für aktuelle Kunst werden, „und wenn dies einmal durchgesetzt ist, wird es schwer, das Gebäude noch abzureißen“, vermutet Schäfer. „Solche Netzwerk-Arbeit, die Grenzen zwischen den gesellschaftlichen Gruppen einfach ignoriert, ist unglaublich geschickt“, bekennt der Künstler, der ohne weiteres einräumt, „dass wir einander über Methoden subtilen Unterlaufens anscheinend festgelegter bürokratischer Verfahren austauschen werden.“

Soziologisch-ökologische Schwerpunkte wiederum setzen Ala Plastica aus dem argentinischen La Plata, 1999 von Künstlern, Biologen und einem Rechtsanwalt gegründet: Gemeinsam mit Anwohnern haben sie 1998 eine Methode entwickelt, ein von Shell verseuchtes Sumpfgebiet zu reinigen, von dessen Vegetation die Einheimischen leben. „Besonders eindrucksvoll fand ich hierbei die Einbeziehung lokalen Wissens, die ja an sich selbstverständlich sein sollte“, erzählt Schäfer. „Was ist globales Wissen, was ist eine globale Katastrophe, was auch globale Dummheit, die ein so fragiles Ökosystem nicht kennt, fragt man sich angesichts solcher Eingriffe.“ Inzwischen habe sich auch die UNESCO dem Reinigungs-Projekt angeschlossen. Ala Plastica entwickeln derzeit weitere flutschützende Bauprojekte, die auch die soziale Situation der Bewohner dieser – gefährdetsten und daher preiswertesten – Gebiete verbessern sollen. „Dies ist es, was letzlich zählt: einerseits konkret zu helfen, andererseits aber auch die ökonomischen, ökologischen und soziologischen Zusammenhänge zu kennen und benennen zu können“, betont Schäfer. „Und diese gelungene Kombination aus Artikulationsfähigkeit und Praxis könnte der europäischen Urbanismus-Diskussion zu einer neuen Qualität verhelfen.“

Vernissage: Do, 19.6., 17 – 22 Uhr, Reeperbahn 1. Es spricht Ute Meta-Bauer. Geöffnet täglich 12– 22 Uhr; bis 6.7. Kongress: 26.–29.6. Kongress-Anmeldung unter bernadette@nadir.org. Information zum Gesamtprojekt unter www.parkfiction.org