Reif für die Putzfraueninsel

Mit 64 gut rasierten Frauenbeinen volkstümlich über Systemgrenzen hinwegtanzen: Wie der zeitlos bescheuerte Friedrichstadtpalast seinen 20. Geburtstag feierte

Schade eigentlich, dass man Ehrengast Eberhard Diepgen nicht auf den Stammsessel von Erich Honecker platzierte. Auf Platz 25, Reihe 3, Block A links saß stattdessen der letzte Zonenpräsident Lothar de Maizière, dem der Friedrichstadtpalast seine Rettung nach der Wende verdanken soll. De Maizière gehörte denn auch neben Gayle Tufts (deren Dinglisch von den zahlreichen Rentnern wohl nicht verstanden, also auch nicht beklatscht wurde) zu den Geburtstagsrednern, die dem letzten Palast Ostberlins zum 20. gratulierten.

Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der Historie, dass sich die so antifeudale DDR mit dem Palast der Republik, dem Palasthotel und dem supermodernen Tingeltangel-Plattenbau in der Friedrichstraße immerhin drei repräsentative Paläste zur Weltstadtinszenierung hielt. Der Friedrichstadtpalast sieht zwar von außen zeitlos bescheuert aus, besitzt aber innen Technik „vom Feinsten“. Ganz toll sind zum Beispiel die Sessel, aus deren oberer Kante die Klimaanlage kühle Luft bläst, die man sich prima in den Nacken pusten lassen kann.

Als man in der Pause im Foyer mit zwei netten, Sekt trinkenden und Mars kauenden Rentnern klönte, schwärmten die dann auch prompt von der imposanten Bühnentechnik. Das berühmte drehbare Hubpodium mit 12 Meter Durchmesser lässt sich wahlweise in ein Schwimmbassin, eine Eisfläche oder eine Zirkusmanege verwandeln. „Ham die Schweden gebaut“, wussten die Rentner. „Nur das Programm ist nicht immer spannend, und seit der Wende hat sich hier auch so gut wie nichts verändert.“

Genau das schien der Großteil der knapp 2.000 Geburtstagsgäste, vielfach längst ergraut, wohl sehr angenehm zu finden. Eine Revue mit 64 makellosen schlanken Frauenbeinen, die flamingorosa Stufen runtertanzen, ohne hinzuknallen, hat halt was – ob nun mit Sozialismus oder ohne. Nicht nur „Honecker hatte ein Faible fürs Leichtgeschürztes“, wie der Tagesspiegel kürzlich meinte, und so warf der Palast so viel Qualitätstingeltangel in die Manege wie nur irgend möglich. Durchs Programm führten dabei als Putzfrauen verkleidete Berühmtheiten wie Kim Fischer oder Dagmar Frederic. Da der Friedrichstadtpalast offensichtlich den Eindruck vermitteln wollte, er setze sich am Geburtstag mit der Geschichte auseinander, mussten die Putzfrauen (Reminiszenz an den Proletarierkult der DDR?) immer wieder Witzchen über die DDR machen, die aber kaum zündeten: „Honecker hat Glasnost für eine Zigarettenmarke gehalten.“ Oder: „Margot wollte mal wat anderet, als ihre krummen Beene sehen.“

Auf einer als altem Fernseher gestylten Leinwand sah man Berichte über den Friedrichstadtpalast – schön ausgewogen aus Ost- und West-TV – sowie den Fall der Mauer. Kurz danach stand eine Mauerimitation auf der Bühne. Die zunächst grauen Pappteile wandten Tänzer dann trivialmetaphorisch auf die bunte Westseite, während ein Chor „Wir sind das Volk“ anstimmte. Das Orchester begleitete jeden weggetanzten Stolperstein der Geschichte mit seinen „gewohnt flotten Melodien“.

Als später die Drehbühne in den Keller fuhr, um kurz darauf als Swimmingpool mit Springbrunnen und vier Wassertänzern wieder aufzutauchen, gab es kein Halten mehr. Die Damen vom Unterwasserballett agieten derart perfekt, dass sie – sichtbar durch seitliche Scheiben – beim Tanzen nicht mal Blasen ausatmeten. Worauf man kurz dachte: Jetzt sind die leider tot. Aber das ist wohl sowieso der große Palasttrick. Sich im richtigen Moment tot stellen, um dann umso volkstümlicher über alle Systemgrenzen hinwegzutanzen. Das hatte dann sogar was Modernes.

ANDREAS BECKER