das straßenfest oder „die ausnahme“ von FANNY MÜLLER
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Im Viertel findet mal wieder ein Straßenfest statt, als hätten wir noch nicht genug zu feiern: Erst der Hafengeburtstag, dann das Japanische Kirschblütenfest, daran anschließend das Stuttgarter Weinfest, ein so genanntes Alstervergnügen und diverse Freiluftfestivals. Das alles konkurriert mit dem Dom, einem riesigen Jahrmarkt, der viermal im Jahr auf dem Heiligengeistfeld stattfindet …

Als ich über die neu gestaltete Piazza am Schulterblatt schlendere, die Frau K. hartnäckig als Pizza bezeichnet, höre ich schon von weitem Trixi, die mal wieder bellt, dass einem Hören und Sehen vergeht.

Frau K. sitzt ungerührt neben ihr vor der Roten Flora, umgeben von einigen Nachbarinnen, die Plastiktassen mit Kaffee in der linken Hand halten und in der rechten verschiedene Kuchenstücke balancieren, da es nur Stühle und keine Tische gibt.

„Was ist denn los?“, frage ich Frau K. und lehne mich mehr oder weniger lässig an einen Stand mit Kinderklamotten, möglichst weit von Trixi entfernt. Ich habe nichts übrig für Hunde, die einen für schuldig halten, bis man das Gegenteil beweisen kann. Ich bin mehr für demokratische Hunde.

„Hör auf zu bellen, wir woll’n das nich’!“, schreit Frau K. jetzt doch Trixi an. Zu mir gewandt sagt sie: „Ich hab ihn angebunden, der wollte unbedingt den Kapellmeister beißen.“ Frau K. nennt ihre Hündin immer „der“, weil sie vor ihr nur Rüden hatte. Der Kapellmeister ist einer von den Langhaarigen, die nachher zum Tanz aufspielen werden. Tanz ist allerdings nicht ganz richtig, es handelt sich um irgendetwas sehr Lautes, vermutlich Experimentelles, was man auf Straßenfesten eben so spielt und das mich, wenn es losgeht, gleich dazu veranlasst, schleunigst das Weite zu suchen.

Nachdem Trixi wegen der Leine genug Spektakel gemacht hat, begnügt sie sich jetzt damit, alles, was an Menschen vorbeikommt, sowie Pflanze, Tier und Mineralreich in etwas verminderter Lautstärke anzubellen. Die Frauen geben sich dem täglichen Meinungsaustausch hin. Jede wartet, bis sie drankommt und hört vorher schon mal vorsichtshalber nicht zu. Es geht unter anderem darum, dass Milben gut dafür sein sollen, dass die Hautschuppen aus der Auslegware wegkommen; dass man sich beizeiten umsehen muss, wie man klarkommt, und dass alles noch viel schlimmer werden wird, ehe es besser wird.

Da geht auf der anderen Straßenseite ein Fenster auf. Eine ältere Frau beugt sich heraus: „Horsti!“ Ein ebenfalls älterer Mann, der tief über seinem Bierglas hängt, bewegt kurz seinen Kopf, ohne hinaufzusehen: „Ja.“ Sie: „Ich bin hier oben.“ Er: „Ja.“ Sie: „Soll ich runterspringen?“ Er: „Ja.“

Frau K. und alle Nachbarinnen haben die Szene mit Interesse verfolgt. „Tja“, sagt Anneliese Köster versonnen, „das is’ Horst Bettermann. Den muss man nehmen, wie er is’.“ – „… und ihn verfeinern“, setzt Frau Taubenheim hinzu, die immer gern noch einen draufsetzt. „Normal“, sagt Frau K. und leckt sich die klebrigen Kuchenfinger ab, „hab ich ja nix gegen Männer. Aber bei den würd ich ’ne Ausnahme machen.“