der kommentar
: Stilsichere Vorbilder

Schon als sich Joachim Bessing 1999 mit vier Freunden traf, um für sein Buch „Tristesse Royal“ den Pop-Dandyismus konservativ umzudeuten, bewies er ein sicheres Gespür für den richtigen Ort. Das Hotel Adlon musste es sein, jene Simulation vergangenen Glanzes, die schon wenige Wochen nach der Eröffnung den Anschein erweckte, die unglamourösen Jahrzehnte seines leer stehenden Trümmergrundstücks seien nur ein böser Traum gewesen. Darum sollte es gehen, das eigene Nichtwissenwollen der Geschichte tabubrecherisch in die Welt zu posaunen und den bedingungslosen Willen zum Stil zum Selbstzweck zu erklären.

Passend also, dass die Popliteratin Rebecca Casati sich für das große Interview in der Beilage der Süddeutschen Zeitung des vergangenen Wochenendes sich mit Jean K. van Daalen den Direktor des Adlon ausguckte, als sie über Eliten sprechen wollte. Kaum verwunderlich auch, dass dieser auf die Frage, warum sich Deutschland so schwer tue mit der Elitenbildung, antwortete: „Wer kennt schon die deutsche Seele? Seit 45 fehlen jedenfalls die positiven Vorbilder, aus der die tiefe, innere Zuversicht eines Volkes entsteht.“

Fassungslos konnte einen allein Casatis Replik machen: Nicht, dass da eine Nachfrage gekommen wäre, welchen positiven Vorbildern von vor 1945 van Daalen denn nachtrauere – „Noch einen Club gründen?“, fragt sie. Vereine, die die Erinnerung an jene in Ehren halten, die sich in den Jahren vor 45 im Adlon trafen, hatten ihren Platz bisher in der National-Zeitung.

TOBIAS RAPP