Rhein-und-Ruhr-Sozis machen alles nur halb

Prüfungen sollen in NRW künftig ein bisschen zentral sein, die zweigliedrige Schule kommt je nach Bedarf. Großes Vorbild war SPD-Parteispitze: Die findet Bildung wichtig – und verschwindet, sobald der Parteitag darüber redet

BOCHUM taz ■ Bildung ist unsere Zukunft, sagt der Arbeitsminister. Nordrhein-Westfalens Kinder sollen es durch Bildung einmal besser haben, sagt der Ministerpräsident. Bildung ist der erste Energieträger, sagt die Bildungsministerin. Und „Bildung schafft Zukunft“ hieß auch der Sonderparteitag der NRW-SPD am vergangenen Wochenende in Bochum. Doch als die Debatte um Schul- und Erziehungsformen begann, waren der Energieträger und der komplette SPD-Vorstand verschwunden. Die Stühle der ersten Riege der Landes-SPD blieben leer. Die Basis musste die vermeitliche Zukunft ganz alleine diskutieren.

Dabei planen die GenossInnen an Rhein und Ruhr geradezu Revolutionäres: Sie gehen Richtung Zentralabitur und sie peilen ein zweigliedriges Schulsystem an. Konzepte, die lange Zeit gegen den sozialdemokratischen Strich gingen. Den Delegierten gingen sogar diese Pläne nicht weit genug: Sie forderten Cambridge in Castrop-Rauxel und Harvard in Herne. Sie verlangten nach bunten Schuluniformen, einer Schulzeit ohne Klassenarbeiten und einer sechsjährigen Grundschule. Über 90 Änderungsanträge lagen vor. So viele wie noch zu keinem Beschluss der NRW-SPD. Am Ende aber folgte die Basis dem „Orientierungsrahmen“ der Parteispitze.

Die rote Führungsriege konnte erleichtert sein über das Abstimmungsverhalten. Im strukturkonservativen NRW folgen nicht alle Menschen ihrer Regierung so brav wie die GenossInnen. Das bekam Bildungsministerin Ute Schäfer in den letzten Wochen zu spüren. Sie hatte über ein an Finnland angelehntes Schulmodell diskutiert, das in Deutschland einmalig gewesen wäre: Haupt-, Real- und Gesamtschule sollten zusammengelegt werden, das Gymnasium parallel weiterbestehen.

Unsinnig wie ein Kropf

Doch seitdem Schäfer diese Vision verbreitete, rissen die Proteste der einzelnen Schullobbys nicht mehr ab. Auch am Samstag wurde die SPD von aufgebrachten RealschullehrerInnen empfangen, die sich als erste Opfer des neuen Systems sehen. „Völlig ineffizient“ sei die Strukturdebatte, sie verschleiere nur die „wahren Probleme“, sagte der Vorsitzende des Realschulverbandes Ulrich Brambach. Auch der Elternpflegschaftsverband befand die Idee für „im Moment unsinnig wie ein Kropf“. Das Zwei-Säulen-Modell in Reinform war daraufhin vom Tisch. Nun sollen Städte und Gemeinden vor Ort entscheiden, ob zum Beispiel Hauptschulen und Realschulen zusammengelegt werden können.

Auch beim Zentralabitur wollen die GenossInnen nur die sanfte Revolution. Eigentlich der Inbegriff konservativen Leistungsdrucks und rotes Tuch für die SPD, fordern die NRW-Roten nun „teilzentrale Prüfungen“ am Ende der Sekundarstufe I und II. Zwar befürchteten viele, dass für individuelle Förderung keine Zeit mehr bliebe, wenn der Stoff auf zentrale Prüfungen ausgerichtet werde. Schäfers Vorstoß fand mit 54 Prozent aber dennoch eine knappe Mehrheit.

Flexibler Schulstart

Auf größere Zustimmung stieß der flexible Schulstart. Die ersten beiden Jahre an der Grundschule sollen in Zukunft in ein bis drei Jahren absolviert werden können, stärkere SchülerInnen können also früher das Abitur machen. Die Förderung der Schwächsten interessierte allerdings weniger: Kinder aus Migrationsfamilien sollen Deutschkurse besuchen, der bilinguale Unterricht hingegen wird um fast die Hälfte gekürzt. Dabei haben PädagogInnen zu Recht darauf hingewiesen, dass ausländische SchülerInnen nur dann richtig Deutsch lernen, wenn sie ihre Muttersprache gut beherrschen.

Bei den Kleinsten stockte der sozialdemokratische Reformwillen vollends. Die Zukunft der Kindergärten soll besser, aber keinesfalls kostenlos sein. Ein Antrag auf ein obligatorisches letztes Kindergartenjahr wurde abgelehnt, weil ein solches Pflichtjahr einen gebührenfreien Kindergarten vorausgesetzt hätte. Die Einnahmeausfälle von 200 Millionen Euro seien weder vom Land noch von den Kommunen aufzufangen, hielt Fraktionschef Edgar Moron den antragstellenden Jusos entgegen.

Auch die LehrerInnen gingen leer aus. Düsseldorfs Regierungspräsident Jürgen Büssow wollte den Lehrkräften die „zeitfressenden Korrekturen ersparen“. Warum nicht wie in Skandinavien alle sieben Tage eine wenig aufwändige Überprüfung im Internet oder mündlich durchführen? Dann bliebe mehr Zeit für individuelle Förderung. Aber Schäfer und der Parteitag wollten die „Leistungsüberprüfung zunächst nicht in Frage stellen.“

Bemerkenswert ruhig blieben die NRW-Studierenden. Genau wie die Parteispitze scheinen sie die Zeichen der Bildungsrevolution verpasst zu haben. Dabei werden die zukünftigen AkademikerInnen kräftig zahlen. Ab kommendem Semester gilt das Studienkontenmodell, Langzeitstudierende müssen 600 Euro pro Semester draufzahlen. Doch die Geschröpften sind verstummt: Nur eine Hand voll protestierte vor der Tagungshalle.

ANNIKA JÖRES